Sonntag, 10. Februar 2013

Mein Leben an der Steckdose

Wie war das eigentlich noch gleich, als wir noch nicht so mobil vernetzt und an jedem Ort kommunikationsfähig waren? Wenn man jemanden sprechen wollte, musste man von zu Hause aus anrufen, mit Fahrrad oder Bus hinfahren. Das Fernsehen war noch das stationäre Lagerfeuer und wenn man mit Medien kommunizieren wollte, musste man einen Brief schreiben. Und jetzt? Wir chatten, skypen, mailen, konsumieren zu jeder Zeit von jedem Ort aus. Aber die neue Ortsungebundenheit hat ihren Preis. Und der hat zwei Löcher. Durch das eine fließt der Strom, der unser neues Leben antreibt und nach getaner Arbeit in das andere Loch zurückkehrt. Unterscheidungslos steht er den wirklich wichtigen Handlungen im Alltag ebenso zur Verfügung wie einer ganzen Menge überflüssigen Zeitvertreibs und spontanen Bedürfnissen. Eine einzige Web-Suche bei Google („Wie heißt das Pferd von Dieter Bohlen?“) verbraucht eine Strommenge, bei deren Produktion 200 Milligramm CO2 freigesetzt werden, hat der "NewScientist" ausgerechnet. Das ist erst einmal nicht viel. Aber Zusammengenommen erzeugen 1000 Google-Anfragen ebenso viel CO2, wie ein Auto auf einem Kilometer Fahrt ausstößt. Voraussetzung dafür, dass ich für Kunden oder meine Töchter erreichbar bin oder der Vorstellung nachhängen kann, jederzeit in das Weltgeschehen eingreifen zu können, ist daher die Steckdose – in Reichweite.
Ich gestehe, dass mein Blick beim Betreten eines Raums – Pressekonferenz der Stadtverwaltung, Konferenzraum beim Kunden, Wartebereich im Flughafen – erst einmal dem lokalen Steckdosenangebot gilt. Mein Smartphone saugt sich im Online-Bloototh-WLAN-Modus ganz gut was an Strom rein. Da kann die Ladung von der letzten Nacht nach einem längeren Kundentelefonat schnell verbraucht sein. Dasselbe gilt für das Notebook, wenn es mal einen Tag von seiner heiß geliebten Dockingstation weg ist. Ich hätte mir nie vorstellen können, dass ich nachts in Berlin libanesische Kioskbesitzer bitten muss, mich mal kurz an eine Steckdose hängen zu dürfen…
Seit ein paar Wochen hat meine Steckdosensucht eine neue Dimension bekommen. Mein neues Auto braucht auch Strom. Mein Opel Ampera muss bei den aktuellen Temperaturen alle 40 km (im Sommer soll sich das auf 100km verlängern) an die Steckdose. Wenn ich längere Strecken fahre oder der Akku leer ist, erzeugt ein Generator mit Hilfe von Benzin den erforderlichen Strom. Das ist natürlich ein weniger gutes Gefühl bei einem Elektroauto. Also denke ich jetzt alle Nase lang darüber nach, wo oder bei wem ich mich in der nächsten Etappe an die Dose hängen kann. Ich warte noch auf die Situation, in der ich mich entscheiden muss, ob ich in einen temporär verfügbaren Anschluss mein Handy, mein Notebook oder mein Auto hänge.

Mental muss das dem Erregungszustand eines Junkies nahe kommen. Entsprechend euphorisch reagiere ich auf die Ankündigung, dass die Anzahl der Düsseldorfer Ladestationen demnächst von 40 auf 70 ausgebaut werden wird. Phantasien machen  sich breit: Werde ich es noch erleben, dass unter meinen Füßen induktive Stromquellen meine Akkus ertüchtigen? Die Debatten um die nationale Energiewende, Ausfallrisiken, Netzertüchtigung und nicht zuletzt den hohen Strompreis kriegen da mit einem Mal eine sehr persönliche Dimension. Unvorstellbar, dass eine Nation, wie die USA, der wir viele der digitalen Neuerungen zu verdanken haben, in einer so fragilen, rückständigen Netzinfrastruktur verbringt, deren Blackouts auch vor den größten nationalen Ereignissen nicht halt machen.
Entzug wäre nicht schlecht. Ein paar Wochen alleine mit den biologischen Akkus unterwegs. No Nokia. No iPad. No Dell. No Opel. Neil Postmans Kloster in dem ich mir ein paar kulturelle Fähigkeiten erhalte. Werde ich das aushalten? O2 hat mir neulich einen Vorgeschmack darauf gegeben Durch ein Versehen war ich mobil für vier Tage nicht erreichbar.  „Oh, wir haben Sie vermisst, Herr Severin. Wir haben uns schon Sorgen gemacht.“

Sonntag, 1. August 2010

Zeichen des Alltags

So ist das hier an der Ruhr. Das Maß aller Dinge ist der Mensch. Wenn hier der verdiente Jugend- und Platzwart einmal den Ascheplatz am Ruhrschnellweg gegen die himmlischen Auen tauscht, dann zeigen die Pragmatiker im Verein, wie man den Spielplan mit dem Gedenken verbindet. (Weil als aktiver Spieler kann man ja am Wochenende nich immer aufn Friedhof). So erinnern die Vereinsmitglieder des Duisburger DSC Preußen ihres zu Jahresanfang verstorbenen Sportkameraden Herbert Kirschen mit einem würdigen Gedenkstein hinter der Torauslinie des Hauptplatzes.

Und weil man eben in allen Lebenslagen so pragmatisch denkt, bietet sich der Stein auch gleich für weitere Nutzungen an:

Sonntag, 25. Juli 2010

Death Parade Duisburg


Was für ein Tag! Bis heute morgen war unklar, ob wir unserer 14-jährigen Tochter gestatten können zur Love Parade zu gehen. Von den üblichen Eltern-Bedenken angesichts einer weitgehend sinnfreien Inszenierung von Körperlichkeit im Rhythmus dumpfer Techno-Beats abgesehen, gab es ein paar ganz praktische Überlegungen, der Veranstaltung mit Misstrauen zu begegnen: Das Gelände am Güterbahnof bietet rein rechnerisch Platz für etwa 450.000 Menschen. Da es sich nicht wirklich um eine Parade handelt, sondern eher um eine Festival auf dem die Floats kreisen, war auch klar, dass die knappe Million Menschen, die es nicht aufs Gelände schafft, nix davon zu sehen kriegt. Aber was machen die dann? Den Charme der Duisburger Bahnhofsumgebung erkunden? Eher wahrscheinlich musste es sein, dass sich jugendliche Entschlossenheit aufmacht, um die Lücken im Sicherheitskordon zu entdecken, um doch noch aufs Gelände zu gelangen. So ist es heute passiert. Und bei diesen Versuchen hatte es Tote und Verletzte gegeben. Dazu hätte es nicht kommen dürfen. Eine Veranstaltung dieser Art kann unter solchen räumlichen Einschränkungen nicht funktionieren. Entweder paradiert man wie zuvor durch eine Stadt oder man sorgt für einen genügend große Fläche. Diese Fehlplanung dürfte nun das traurige Ende der Love Parade markieren. Einen Imagegewinn für die Ruhrgebietsstädte versprachen sich die Kulturhauptstädtler seinerzeit von der Übernahme der Loveparade. Duisburg erlebt gerade, wie sich das Versprechen gegen die Stadt kehrt. Vielleicht hatten die Bochumer „Weicheier“ mit ihrer Absage im vergangenen Jahr den richtigen Riecher. Unsere Tochter hat übrigens ähnlich guten Instinkt bewiesen: Sie hatte sich mit ihren Freunden auf eine entfernte Wiese gelegt und sich mit Beats aus sicherer Distanz vergnügt.