Sonntag, 14. Dezember 2008

Schutzheiliger gesucht


Hand aufs Herz liebe KollegInnen der organisierten Kommunikation, in unserem Beruf kann doch eigentlich ganz schön viel schief gehen: CEOs straucheln in Prime-Time-Interviews, die wir ihnen unter Aufbietung aller von Standesregeln erlaubten Mitteln verschafft haben. Die neue Imagebroschüre war zum Börsengang leider noch nicht ausgetrocknet. Oder die indischen Journalisten sitzen wie versteinert vor dem Rindergulasch.

Wer hätte sich im Antlitz des Desasters nicht schon einmal nach himmlichem Beistand gesehnt? Meine katholische Prägung (7 Jahre Ministrant) lässt mich hoffen, im unerschöpflichen Pool der Schutzheiligen Rettung, wenn nicht sogar Erlösung zu finden. Schutzpatrone gibt es für Orte wie Hildesheim (Antonius von Padua), für Haustiere (Ambrosius) oder ganze Länder wie Russland (Andreas!). Ihre volkswirtschaftlich nützlichste Dienstleistung erbringen sie ohne Zweifel als Schutzheilige der Berufsgruppen. Floristen rufen die Heilige Dorothea an, wenn der Brautstrauss zu misslingen droht, die Ärzte des Marburger Bunds werden für ihre Tarifverhandlungen gewiss den Segen ihres Schutzpatrons Caesarius von Nazianz einholen, während der Heilige Bona von Pisa – nein, nicht den Lehrern – sondern den Flugbegleitern zum Klassenziel verhilft. Also, wenn Latrinenreiniger (Julius I.), Steuerberater (Mammas) und Postboten wie Radiosprecher (Erzengel Gabriel) über himmlisches Personal verfügen, warum nicht auch die Kommunikatoren?

Ich habe mich hier auf die Suche begeben und bin tatsächlich fündig geworden: Der Franziskaner Bernhardin von Siena (1380 – 1444) war ein gefürcheteter Prediger und ihm werden zahlreiche Wunder und Heilungen zugeschrieben. In diesen Fähigkeiten (in der Sprache unserer Zeit key competences) werden sich zweifelsohne viele meiner KollegInnen in Agenturen und Unternehmen wiedererkennen. Bernhardin wirkte Frieden stiftend in den italienischen Stadtkriegen und wurde schon zu Lebzeiten als Heiliger verehrt. Sein Ruhm gründet in seinen Predigten in der Sprache des Volkes, die von seinen Hörern gesammelt und überliefert wurden. Mit „IHS“ (Jesus – Hominum – Salvator) hat er zudem ein mächtiges Logo geschaffen, das sich der Jesuitenorden knapp 100 Jahre später für lau aneignete. Auch die inadäquate Honorierung bahnbrechender Kommunikationsleistungen ist unserer Profession leider vertraut.

Ich schlage vor, dass sich die DPRG als unser maßgeblicher Berufsverband, mit allem Nachdruck im Vatikan dafür einsetzt, ihre Schutzbefohlenen unter den heiligen Schirm von Bernhardin zu stellen. Scheinheilige haben wir schon genug und es ist an der Zeit, hier für eine anständige Positionierung der Branche zu sorgen. Ein nicht unwillkommener Zusatznutzen der Berufung wären schließlich die mit jedem Heiligen einhergehenden übernatürlichen Phänomene („Wunder“), für die wir in unserem Alltag gelegentlich Verwendung hätten. Am Gedenktag des Hl. Bernhardins , dem 20. Mai, stellen wir dann eine Kerze ins Fenster.

Donnerstag, 11. Dezember 2008

Entspannt: Everything that happens...

So manches was uns in diesen Tagen jene zügig auf das Rentenalter zuschreitende Altstars aus Rock und Pop, von Fleetwood Mac bis Led Zeppelin, auf Comeback-Farewell- oder Abschied-vom-Abschied-Tourneen zumuten, ist nur mit ausgeprägtem Sinn fürs Nostalgische und großem Respekt vor der jeweiligen Lebensleistung zu ertragen.

Jetzt haben sich zwei zurückgemeldet, von denen niemand ernsthaft eine finale Abkassiertour mit musikalischen Rezyklaten erwarten würde. Im Gegenteil: Wenn die Pop-Avantgardisten David Byrne (56) und Brian Eno (60) sich Jahre nach ihren Talking Heads-Erfolgen mit einem gemeinsamen Projekt zurückmelden, werden sie eine Menge erregter Aufmerksamkeit unter Kritikern (und alten Bewunderern wie mich) finden.

Allein die Story über die Entstehung ihres neuen Albuns „Everything That Happens Will Happen Today“ bedient alle Klischees über die intellektuelle wie künstlerische Experimentierfreude der beiden: Der eine (Eno) erwähnt bei einem gemeinsamen Dinner eher beiläufig, dass er noch ein paar instrumentelle Entwürfe in der Schublade hat, die darauf warten arrangiert und betextet zu werden. Der andere (Byrne) zeigt spontan Interesse und weiß seit 30 Jahren, zu was beide miteinander fähig sind. In einer mehrjährigen lebhaften E-Mail-Korrespondenz geht es fortan hin und her zwischen London und New York mit Arrangements, Lyrics und Probeaufnahmen.


Wer in das Ergebnis an einer beliebigen Stelle hineinhört, weiß um den entspannten Spirit mit dem die beiden Künstler ans Werk gegangen sein müssen. Hier musste sich offensichtlich keiner mehr was beweisen. Eno konnte sich, wie er sagt, ganz auf die lyrischen und melodiösen Instinkte seines Freundes verlassen, der wiederum auf Enos kreativen Einsatz von Samplings und Musikstilen von Country bis Gospel. Herausgekommen ist ein wirklich cooles, entspanntes Album, das selbst seine Schöpfer überrascht hat. Das Ergebnis, so Byrne, sei schon sehr verschieden von dem, was er alleine gemacht hätte. Er neige ja sonst doch zu eher komplizierten Formen. Aber die Hörer seien gewarnt: Hinter dem relaxten Titel, schmeichelnden Melodien und einem Cover, dass an die simplen Lebenswelten von Sims-Vorstadt-Familien erinnert, lauern natürlich unübesehbare Piktogramme des Anspruchs, wie der Warnhinweis an die Kritiker in „Strange Ovetones“: „Your words can not explain.“.


Wahre Fans indes freuen sich ganz schlicht über die vorweihnachtliche Überraschung und einen Vertriebsweg, der mindestens so „laid-back“ wie die neuen Songs ist: Wenige Klicks zur Registrierung auf www.everythingthathappens.com und schon startet der Download des Albums für umgerechnet schlanke 6,75 Euro auf den Rechner (Für 9 Euro kriegt man neben dem Download-Link auch noch die CD geschickt.) Fazit: Entspanntes Projekt, entspannte Musik. Glückliche Fans, verzweifelte Majors, denen mal wieder ein großer Wurf durch die Lappen gegangen ist. (déja vu? Siehe Beitrag weiter unten zu Radiohead)