Montag, 18. Februar 2008

Germany’s Next Top-Steuerhinterzieher

Sind Sie auch so schrecklich gespannt auf die nächsten Wochen? „Überraschungen von bisher unbekanntem Ausmaß“, verspricht uns die Staatsanwaltschaft Bochum. 900 Hausdurchsuchungsbeschlüsse bei 700 mutmaßlichen Steuersündern haben amtliche Drucker ausgespuckt. Bis zu 20 Heimsuchungen täglich werden die Nation in Atem halten. Wie nie zuvor in Deutschland wird die Justiz die Schlagzeilen der Presse und die Sondersendungen und Programme der Sender lenken.

Dieser Skandal wird die Repbulik aber in mehrfacher Hinsicht an ihre Grenzen führen. Die Übertragungswagen der Medien werden in ihrem Bemühen, die Prominenz des Landes per Reality-TV auf ihrem Gang in die U-Haft zu begleiten, kaum nachkommen. Sportler, Mediengrößen, Idole – die Betroffenen dürften ein paar schlaflose und bange Tage durchleben, der Voyeurismus im Volk Urstände feiern. Mitgefühl haben die Sünder nicht zu erwarten. Im Gegenteil, der zu erwartende Imageschaden und der Hohn werden enorm sein. Der Plebs wird sich auf der Couch empören und mit Genugtuung dem Bildschirm zuprosten. Wir werden in den nächsten Wochen pausenlos Kommentare zum Thema Gerechtigkeit und Vorbildfunktion im Verhältnis der Eliten zur Gesellschaft hören. Tatsächlich werden die Emotionen im Volk denen ähneln, mit denen Gaffer das Ende des 7er-BMW-Rasers unterm Sattelschlepper begleiten. Sozialneid, um es einmal unverblümt zu sagen, ist in diesem Land die dunkle Seite des Gerechtigkeitsempfindens. Land auf, Land ab wird man es sich wieder mit der Erkenntnis bequem machen, dass der Ehrliche der Dumme ist und finanzieller Erfolg am besten auf dem Rücken der Res Publica gedeiht. Um nicht missverstanden zu werden: Es ist wirklich erstaunlich, welche Energie Vermögende offenbar tagtäglich darauf aufwenden, dem Staatswesen, dem sie in der Regel ihren Aufstieg und ihren Wohlstand zu verdanken haben, ihren steuerlichen Beitrag zu den gesellschaftlichen Aufgaben, zu entziehen. Der Unterschied über zehn Jahre eine Vermögensanlage von 10 Millionen Euro auf 16 Millionen (ohne Steuern) oder schlappe 12,5 Millionen (mit Steuern) wachsen zu lassen, lässt den Preis der Moral erahnen. Die Tatsachen des Skandals wie dessen öffentliche Verarbeitung werden kaum förderlich auf die Entwicklung gesellschaftlicher Werte einwirken.

Erwartungsvoll richtet sich meine Aufmerksamkeit einstweilen auf die Rechtfertigungsversuche der prominenten Täter. Klaus Z., der im Kampf für Lohn-Gerechtigkeit und den wettbewerbsbereinigenden Mindestlohn einst sogar die päpstliche Enzyklika bemühte, hat zumindest geschwiegen und geräuschlos die Bildfläche geräumt. Das wird nicht allen gelingen. Ich bin zuversichtlich, dass bald schon von Hexenjagd, Missgunst und Pogromen gegen Leistungsträger die Rede sein wird. Wie groß war die Not, die das Vermögen der Eliten in die Vertreibung gezwungen hat? Wie groß die Einsamkeit an der frostigen Spitze dieser Neid-Gesellschaft? Wie unermesslich das Leiden am Steuerunrecht?
Mir fällt dazu nur Tucholsky ein: „Meine Sorgen möchte ich haben.“ – Fortsetzung folgt.

Sonntag, 10. Februar 2008

Unterwegs mit dem Bös-o-Meter


Nein, was Tony Wheeler da in seinem legendären Trecking-Verlag Lonely Planet vorgelegt hat, ist wahrlich nicht die Art Reiseführer auf dessen Spuren sich der gewöhnliche Rucksacktourist begeben sollte. „Bad Lands“ ist ein Reisebericht der besonderen Art. Denn die Destinationen um die es darin geht, werden seit 2002 von George W. Bush im Katalog der den Weltfrieden bedrohenden Staaten geführt. Tony Wheeler machte sich auf, um als „Tourist on the Axis of Evil“ die Wirklichkeit hinter den politischen Kriegsgemälden des „war on terror“ und den daraus gespeisten Medienklischees zu erkunden.

Wir erinnern uns: Im Jahre 2002 hatte George W. Bush die Welt vor den Staaten gewarnt, die den Terrorismus fördern oder den Frieden mit Massenvernichtungswaffen bedrohen: Iran, Irak und Nordkorea. Wheeler erweitert diese Liste „kongenial“ um weitere Paria-Staaten der US-Bedrohungsrhetorik: Afghanistan, Albanien, Burma, Kuba, Libyen und Saudi-Arabien.

Als Tourist die "Achse des Bösen" bereisen zu wollen, ist von geradezu plakativer Naivität. Natürlich weiß Wheeler um die jeweiligen politischen Verhältnisse und human rights records der Länder die er aufsucht. Und doch ist seine Herangehensweise unerhört wohltuend. Unter dem politischen Radar der Ideologen hinweg sucht er unvoreingenommen die Begegnung mit Menschen jenseits der Artefakte, die die politische Berichterstattung in unseren Köpfen hinterlässt.

Dass Wheeler Australier ist und nicht mit einem amerikanischen Pass herumreist, hat ihm sicher mancherorts nicht nur die Einreise, sondern auch den Zugang zu den Menschen erleichtert. Als erfahrener Backpacker hat er zudem geschärfte Sinne für Risiken wie für Chancen entwickelt. Und dass er einen Teil der Länder bereits von früher kannte und in jedem Land über wertvolle Kontakte verfügte, hat ihm viele Türen geöffnet, die dem normalen Touristen verschlossen geblieben wären.

In Albanien zeigt er uns, wie die bitterarmen Menschen in den post-kommunistischen Ruinen der Hoxha-Ära ihr Glück suchen und es notfalls sogar in den unkaputtbaren übers ganze Land verstreuten Iglu-Bunkern finden. In Afghanistan entdeckt er für uns das zarte Erwachen einer von Krieg und Taliban geschundenen großen Kulturnation. Wer dachte, die Apartheid sei mit dem regime change in Südafrika von der Landkarte verschwunden, sollte dringend den Abschnitt Wheelers zu Saudi Arabien lesen. Hier reicht es im 21. Jahrhundert immer noch aus, eine Frau zu sein, um weitgehend entrechtet von jedem Alltag ausgeschlossen zu sein. Der ganze Katalog der lawful sanctions, die die Scharia für Gesetzesverstöße bereithält, - von öffentlichen Amputationen bis zu Steinigungen ­und Enthauptungen mit dem Schwert - sorgt hier für Ruhe und Ordnung. Eine umfassende Zensur der Medien stellt sicher, dass die Bilder einer repressiven Geschlechter-Diktatur (die den Taliban übrigens als vorbildlich gilt) kaum in die Medien der Welt gelangen.

Der Alltag von Frauen im Iran liest sich dagegen wie ein eleganter Hüftschwung durch die Bühnenkulisse der Religionswächter. Bizarres Highlight der Tour des Schreckens ist allerdings unangefochten Nord-Korea: Ein stalinistischer Themenpark, „wie ein Gulag, von Monty Python betrieben“. Autobahnen auf denen einzelne Wagen noch die freie Wahl der Fahrspuren haben, kann es heute wahrscheinlich nur noch in totalitären Staaten geben.

Am Ende ist dem Autor wohl doch nicht so ganz wohl gewesen, Länder wie Albanien, Kuba oder Saudi-Arabien auf einen Nenner gebracht zu haben. Zur besseren Unterscheidung hat Wheeler sich das Evil Meter ™ gebastelt. Was macht ein Land zu einem „bösen“ Land?
Drei Fragen sind es, die er seinem Rating zu Grunde legt: Wie geht das Land mit seinen Bürgern um? Fördert es den Terrorismus? Ist es eine Bedrohung für andere Staaten?

Wheeler kommt in seinem Bericht nie als sonderlich politischer Beobachter rüber. Und doch erweist sich sein Buch als hoch politisch, indem es offenbart, wie leicht Medien in den Dienst eines politischen Kampfbegriffes geraten. Und dabei zunehmend ausblenden, wie vielfältig die Realität auch in einem Schurkenstaat aussehen kann.

Sonntag, 3. Februar 2008

Vom Präsentieren

O.k., diese Agenturspezies hat schon so ihre Marotten. Eine davon ist ohne Zweifel ihre Präsentationswut. Von der großen Präsentation im Neugeschäftspitch über die Präsentation im Strategieworkshop bis runter zur Vorstellung der letzten Medienresonanzanalyse glühen die Beamer nahezu im Dauerbetrieb. Wenn der Tag kommt, dass wir zu unserem Schöpfer gerufen werden, wird an Heaven’s Gate der Satz zu hören sein: „Haben wir vielleicht noch zehn Minuten?. Ich habe Ihnen da etwas mitgebracht, das ich Ihnen gerne zeigen würde…“ My final credential presentation. Nicht auszudenken jedoch, wir landeten in der Hölle, wo uns eine 24/7-Dauerpräsentation unserer Worst-of-PowerPoint erwartete...

Woher kommt diese Präsentationswut? Vielleicht hat es einfach damit zu tun, dass wir Berater in der Regel im Hintergrund agieren. Der Auftritt vor den Kameras und Mikrofonen, die Bühne der Öffentlichkeit, gehört unseren Kunden, ihren Marken und Produkten. Unsere Bühne ist der Konferenzraum des Kunden. Und unsere Präsentation ist eher die Motivationsveranstaltung hinter den Kulissen. Denn wenn wir präsentieren, geht es meist um mehr als um reine Informationsvermittlung. Wir wollen Begeisterung für eine Idee vermitteln, nicht selten auch Kraft unserer Persönlichkeit überzeugen oder einfach das Selbstvertrauen auf der anderen Seite für notwendige Maßnahmen stärken. Unsere, zumindest temporäre Identifikation mit einer Aufgabe, angereichert mit einer guten Dosis Adrenalin, kann in solchen Augenblicken manchen Widerstand überwinden: Misstrauen in die Umsetzbarkeit von Konzepten, Budgetrestriktionen, nicht selten sogar die Selbstzweifel und Frustrationen des Personals. Und das ist gut so. Denn wir müssen immer wieder zeigen, dass wir genügend Kraft und Enthusiasmus haben, eine anspruchsvolle Mission zu erfüllen. Keine Frage, dass manch einer dabei schon mal übers Ziel hinausschießt. Enthusiasmus für eine Aufgabe ist nicht mit blinder Gefolgschaft oder Opportunismus zu verwechseln. Manch ein Kunde wäre schon froh, wenn sich das Feuer aus der Präsentation einigermaßen über den Tag der Beauftragung hinaus erhalten ließe.

Heute ist Sonntag. Mich weht die Erkenntnis an, dass ich im Präsentationsauftritt von meiner katholischen Erziehung und den sieben Jahren als Messdiener am Altar von St. Gertrudis profitiere. Hier habe ich einen Sinn entwickelt für die Kraft des gesprochenen Wortes in der Dramaturgie („Sacra Liturgia“) von Agenden, Orgelmusik, kollektiven Zeremonien, Weihrauch und Opfern. Vor allem habe ich gelernt, dass am Ende der Messfeier, die Gemeinde ein Gefühl von Gemeinsamkeit erneuern und neue Kraft für die vor ihr liegenden Tage schöpfen will. Ein wenig so – bei allem Respekt vor Glaubensakten – ist es auch bei Präsentationen. Mag die beteiligte Technik sich über die Jahre verändert haben, die zugrundeliegende Psychologie ist seit der Verbreitung der frohen Botschaft die gleiche geblieben.

Ja, ja, die Technik. Angefangen hat es damals mit Overhead-Folien in Flip-Frames (auf deren ausklappbaren Rändern man sich so praktisch Stichworte notieren konnte), größere Präsentationen dann wurden in eine Diashow überführt. Dann ab Mitte der Neunziger der Durchbruch für Notebook, PowerPoint und Beamer. Die Präsentation beginnt sich hier vom Präsentator zu lösen. Mehr und mehr sind hier die Visualisierung und die gestalterischen Effekte des Mediums in den Vordergrund getreten. Aufwändige Flash-Animationen, Videoeinspielungen und spektakuläre Aufbaugrafiken wollen Eindruck und Emotionen schinden, um nicht der Tagesform des Vortragenden ausgeliefert zu sein. (Tatsächlich habe ich die unbeholfensten und hölzernsten Präsentationen ausgerechnet bei Werbern erlebt, also einer Gattung, die gleichzeitig die höchsten Ansprüche an emotionale Wirkungen stellt.)

Ein neues Angebot mag nun die Vortragenden weitgehend von den Unwägbarkeiten des persönlichen Auftritts befreien. Bei den Voice-over-Slides der Frankfurter Agentur Schallmarke wird die PowerPoint-Präsentation in eine selbstlaufende Flashpräsentation überführt. Das ist so weit noch nichts Ungewöhnliches. Neu hingegen ist, dass ein professioneller Sprecher die Rolle des Präsentators übernimmt. Was Hörbüchern zu Erfolgsumsätzen verhilft, sollte Marketiers und Vertriebspersonal billig sein, mögen sich die beiden Köpfe hinter Schallmarke gedacht haben. Jo Löw und Jörg Middelkamp haben es nämlich faustdick hinter den Ohren. Die beiden – der eine Komponist und Musikproduzent, Kommunikationsberater der andere – haben sich darauf spezialisiert, Markenpersönlichkeiten und Corporate Identities in Klänge umzusetzen. „Akustische Markenführung“ nennt sich die junge Kommunikationsdisziplin, bei der eine akustische Signatur für Wiedererkennbarkeit sorgt. Ihr erstes Produkt, die Businessmailbox, hatte ihnen bereits den Frankfurter Gründerpreis 2007 eingebracht. Ein von Schallmarke entwickeltes Verfahren macht es dabei möglich, Mailboxansagen in hochwertige Hörmarken, sogenannte Audiologos, zu verwandeln. Wie sich zeigte, ein gefragtes Angebot bei großen Markenunternehmen mit mobilem Personal und intensivem Kundenkontakt. Auch die neuen Voice-over-Slides zielen darauf, Marken in ungeschützten Räumen und Begegnungen zu einem verlässlichen Auftritt zu verhelfen. Der entscheidende Vorsprung gegenüber der automatenhaften Sprechbegleitung, wie wir sie aus Webinars und Messepräsentationen kennen, liegt klar in der Sprecherqualität. Ein internationaler Sprecherpool von über einhundert professionellen Stimmen aller Genres sorgt für die passende Ansprache und CI-Kompatibilität. Prominente Stimmen, vielleicht sogar die des Werbetestimonials, können in Einzelfällen für die nötige Aufmerksamkeit sorgen. Das neue Angebot wird gewiss seinen Markt finden. – Und ich überlege mir einstweilen, ob ich mich bei einer der nächsten Präsentationen verbal einmal von Piet Klocke vertreten lasse…