Dienstag, 29. Januar 2008

Mindestens so spannend wie ihr neues Album ist ihr Marketing: Der Fall Radiohead.

Nur wenige Bands haben es bis heute verstanden, die kommunikativen Möglichkeiten des Web 2.0 so sehr mit ihren künstlerischen Ausdrucksformen zu verbinden, wie das der britischen Band Radiohead eindrucksvoll gelingt.

Die Band machte im letzten Oktober Schlagzeilen als sie ihr jüngstes Album In Rainbows im Online-Selbstvertrieb auf den Markt brachte. Von einer „Zeitenwende“ war die Rede, von einem weiteren „Sargnagel für die Major-Labels“. Tatsächlich war das Album in wenigen Tagen 1,2 Millionen Mal über die Website der Band www.inrainbows.com heruntergeladen worden und machte die Website zum meistgeclickten Angebot auf der Insel. Radiohead dagegen produzierte nicht nur eines der besten Alben in seiner an Höhepunkten nicht armen Geschichte. (Siehe auch die ausführliche Track-by-Track-Vorstellung bei Rolling Stone mit vielen Preview-Clips.) Sie stellten vielmehr ihren „Kunden“ frei, selbst über die Höhe des Kaufpreises zu bestimmen. Dass die Band nach Auslaufen ihres Vertrags mit EMI die Nase von den Majors gründlich voll hatte, war weithin bekannt. Und dass es dabei nicht nur ums Geld ging und das EMI-Management sich wie „a confused bull in a china shop“ verhielt, hatte Frontmann Thom Yorke im eigenen Blog mehr als deutlich gemacht. Dennoch: So ganz trauten sie sich jedoch wohl doch (noch) nicht, den gewohnten Vertriebswegen den Rücken zu kehren. Sie begrenzten den Downloadzeitraum auf acht Wochen und brachten das Werk anschließend in einer luxuriösen CD + Vinyl-Box mit ein paar zusätzlichen Tracks heraus. Seit wenigen Tagen ist die reguläre CD über das Independent-Label XL Recordings auch im Handel erhältlich.

Wie auch immer man die Vorgehensweise bewertet, das Konzept findet Nachahmer. Stars wie Prince oder Gnarls Barkley haben mit dieser Vertriebsform erste Erfahrungen gesammelt. Auch von Jamiroquai und Oasis, seit einiger Zeit ebenfalls ohne Plattenvertrag, heißt es, die nächste Produktion soll im Selbstvertrieb unters Volk kommen. Gruppen wie die Arctic Monkeys sind gar ausschließlich über den Netzvertrieb groß geworden. Den Plattenlabels muss dieser Trend wie ein neues Kapitel im Buch der Plagen erscheinen. Nach der Seuche Filesharing, die notdürftig mit aggressiven rechtlichen Offensiven eingedämmt werden konnte, zieht für die Majors nun eine neue Bedrohung am Horizont auf. Selbstvertrieb galt bis zuletzt als Domäne kleiner, unbekannter Independent Groups, die keinen Zugang zu großen Plattenlabels fanden. Bei aller Anarchie im Markt, konnte man sich zumindest lange Zeit auf die Loyalität der Stars und deren Wertschätzung für die Marktpower der Majors verlassen. Dieser Pakt wird brüchig. Auch Stars machen die Erfahrung, dass sie sich ohne Schaden ein Stück weit von der Vertriebs- und Vermarktungsmaschinerie der Labels, die ja auch gerne mal gängeln, frei machen können. Zumindest gewinnen etablierte Künstler ein zusätzliches Drohpotenzial. Der Fall Radiohead könnte schnell weitere Nachahmer finden.

In der begleitenden Kommunikation ziehen Radiohead alle Register: Zum neuen Jahr überraschten sie ihre Fans mit einem gelungenen Webcast, der unter dem Titel Scotch Mist








Livefassungen der neuen Songs in mystische Motive eingebettet präsentierte. Sehr empfehlenswert. Diese Musik kriecht in alle Gehirnwindungen und setzt sich dort fest. Eine ganz feine Droge. Das war ein gelungener Jahresauftakt und Radiohead machten deutlich, dass auch in 2008 mit ihnen zu rechnen ist. Bereits zwei Wochen später luden sie zu einem Überraschungs-Gig in einen Londoner Plattenshop ein. Über die eigene Website wurden die Fans organisiert und wer nicht vor Ort dabei sein konnte, für den öffnete www.radiohead.tv weltweit den Zugang zum Konzert. Ihr Weblog Dead Air Space hält die Community unterdessen über alle Schritte und Projekte der Band auf dem Laufenden.

How much are you going to pay? It’s up to you!

Mit Radioheads Entscheidung, den Kaufpreis den Kunden zu überlassen, kommt eine ganz andere Fragestellung aufs Tapet, die bei Ökonomen immer wieder Irritation und bei Kommunikatoren Verzückung auszulösen vermag: Warum zahlen Menschen für etwas, das sie auch kostenlos bekommen können? Für Ökonomen gehört der Grundsatz von der Nutzenmaximierung zu den unumstößlichen Glaubenssätzen. Danach wählen Menschen aus den gebotenen Möglichkeiten immer diejenige mit dem größten Nutzen aus. Aus dieser Perspektive macht es einfach keinen Sinn, für den Download der CD 5$ zu zahlen, wenn man diesen auch für lau erhalten kann. Als Ausnahme konnten Ökonomen bisher vor allem altruistische Motive und Präferenzen zulassen, wie wir sie von sozialen Projekten kennen. Aber kann eine reiche Band wie Radiohead abseits ökonomischer Rationalität einen sozialen Nutzen geltend machen? (siehe auch die ausführliche Erörterung des Themas im Weblog von Christian Voigt)

Bei näherer Betrachtung scheint ein breites Spektrum an Motiven vertreten zu sein. Zunächst sind da die 62 Prozent, die sich nach Erkenntnissen des Marktforschungsinstituts ComScore, sagen wir, „systemkonform“ verhalten und nix bezahlt haben. Bei den verbleibenden 38 Prozent kommen unterschiedliche Motive in Frage. Ohne Zweifel können eingefleischte Radiohead-Fans ihre „Wert-Schätzung“ nur annähernd überweisen, ohne sich damit gleich zu ruinieren. Bei anderen mag es eine Ethik des fairen Miteinanders (und schlechten Gewissens) sein, für eine nützliche Leistung einen Gegenwert zu erbringen.

Ich bin der Meinung, dass die bezahlten Downloads als politisches Statement zu werten sind. Jeder freiwillige Euro, Dollar und jedes Pfund waren ein Votum gegen die herrschenden Marktstrukturen und für den Internet-Direktvertrieb. Der Konsument lässt genussvoll seine Muskeln spielen und zeigt den Majorlabels, wo der Bartel den Most holt. Nämlich online, ohne Zwischenhandel und direkt beim Erzeuger. Der Bauernhofverkauf lässt grüßen. Radiohead haben sich als Rebellen auf Zeit geriert und den Fans hat’s gefallen, sich damit zu solidarisieren. Ob sich der Fall als model case für die Branche eignet, darf bezweifelt werden. So weit dürfte die Freiwilligkeit nicht gehen, jeder Gruppe diesen Modus künftig zuzugestehen. Aber es wird weiter fröhlich experimentiert: Die Eagles vertreiben ihr Comeback-Album exklusiv über Wal-Mart und das neue Paul McCartney-Album kann man in den USA nur an der Kasse von Starbucks erhalten. Für Radiohead dürfte der Versuchsballon dopppelte Rendite abgeworfen haben: Wirtschaftlich mit im Schnitt 4,12 Euro (mit keinem Label zu teilen, die Nichtzahler drückten den Durchschnitt auf knapp über einen Euro) dürfte die Band mit den nachlaufenden Einnahmen aus dem regulären Verkauf des Albums gut im Rennen liegen. Richtig lohnen indes wird sich die phänomenale weltweite Publicity rund um den In Rainbows-Coup. Im Wettbewerb um Aufmerksamkeit dürfte die Gruppe ihren Claim abgesteckt haben: Die für Sommer anstehende Europatournee der Band ist jedenfalls schon in vielen Ländern ausverkauft.

Dienstag, 22. Januar 2008

Convenient Tales und Disneysierung: Schluss mit der Märchen-Manipulation!

Märchen, da sind sich Eltern und Pädagogen mal einig, sind wichtig für die Kindesentwicklung. Märchen stärken das Selbstvertrauen. Sie regen Phantasie und Kreativität an. Sie schärfen den Sinn für Lösungsansätze. So weit die gute Theorie. Tatsächlich sind viele Klassiker heute nur noch in „getunten“ oder verstümmelten Versionen im kulturellen Umlauf. Original und Fälschung – wer kann das noch entscheiden. Jüngstes Opfer: Meine Frau auf dem Stuhl bei „Wer wird Millionär?“. Bei 16.000 Euro steht sie vor der Frage: „Wer überlebt in dem Märchen von Hase und Igel?“ Der Igel? Der Hase? Beide? Keiner? - Sie kennt den Plot im Grundthema - das ist der Blickwinkel des Hasen, der bei wiederholten Anläufen an einem Konkurrenten („Ick bün all hier.“) nicht vorbeikommt - und glaubt, dass beide überleben. Die Befragung des Publikums und der hinzugezogene märchenerfahrene Telefonjoker gelangen zur selben Vermutung. Tja, und das war’s auch schon auf dem Weg zur ersten Million. Spaß gemacht hat’s trotzdem.

Dennoch haben wir uns gefragt, wie ein solcher Irrtum in unsere Köpfe kommt. Dazu zwei Beobachtungen. Erstens: die wenigen im Freundes-, Familien- und Kollegenkreis, die die Antwort wussten, waren meist deutlich über fünfzig Jahre alt. Zweitens: Nicht wenige der jüngeren waren überzeugt, die Geschichte zu kennen, wussten aber nichts vom Ableben des Hasen („Wie, da stirbt doch niemand!?“). Tatsächlich hatten die älteren noch das Grimm’sche Original vorgelesen bekommen, wir Jüngeren aber meist nur „entschärfte“ Versionen kennen gelernt.

Wer darüber mit Literaturwissenschaftlern und Psychologen spricht, gelangt zu verblüffenden Einsichten. Danach hat Zensur von Märchen Tradition. Sei es um vor etwa hundert Jahren eine neue Vorstellung von Kindheit vor Gewalteindrücken zu bewahren, oder, nach den Gräueln des Zweiten Weltkriegs (hier fanden die radikalsten Eingriffe in die Grimmschen Märchen statt) Menschen möglichst nur mit „heilen“ Märchenbildern zu versorgen. Erst in den Siebziger Jahren verstärkten sich Hinweise aus der Psychologie, dass Kinder durchaus in der Lage sind, Schrecken und Gewalt in Märchen produktiv zu verarbeiten. In seiner Schrift „Kinder brauchen Märchen“ hat der große Psychotherapeut (aber auch Philosoph und Germanist) Bruno Bettelheim auf die heilsame Wirkung solcher Märcheninhalte und der Vision vom glücklichen Ende hingewiesen. Die Bösen werden vernichtet und die Guten leben glücklich bis an ihr Lebensende. Aber: Nur wer eine Ahnung vom Bösen gewinnt, kann den Antrieb entwickeln, dieses zu überwinden. Doch alle Wissenschaft konnte den Mainstream der Manipulation nicht aufhalten. Im Gegenteil: Der Kuschelpädagogik folgte die Kommerzialisierung des Kulturgutes. Forscher weisen darauf hin, dass vor allem Disney-Produktionen den Märchen in ihrer ursprünglichen Fassung den Garaus gemacht haben. Da vergibt sogar das berühmte Aschenputtel seinen Schwestern und alle leben glücklich bis an ihr Lebensende, während die Grimmsche Fassung den bösen Schwestern noch jeweils ein Auge von Vögeln auspicken ließ.


Ähnliche Schicksale erlitten Klassiker wie „Die Schatzinsel“, „Gullivers Reisen“ oder „Oliver Twist“, die heute oft in trivialisierten, weichgespülten Versionen im Umlauf sind.
Ging es den einen noch darum, den Stoff in eine zeitgemäßere und vermeintlich attraktivere Sprache zu überführen, war den nächsten „Bearbeitern“ daran gelegen, die Story „kindgerecht“ von den Schrecken des Todes und der Gewalt zu befreien. Nur zum Spaß: Kramt doch mal Kinderbücher mit Grimms Märchen hervor und vergleicht den Inhalt mit den Originaltexten der Gebrüder. Von wegen: "Hu! Da fing sie an zu heulen, ganz grauselich; aber Gretel lief fort, und die böse Hexe musste elendiglich verbrennen." Da dürfte die ein oder andere Überraschung lauern, gell?

Da lob ich mir doch Wikipedia. Da kann man wenigstens noch nachvollziehen, wer wann und wie am Ursprungstext herumgepfuscht hat. Für uns indes heißt die Losung: Finger weg von den Aschenputteln, Hasen und Igeln reloaded! Wer mit derart sterilisierter geistiger Flaschennahrung aufgezogen wurde, muss sich später einen Ausgleich in Ego-Shootern und Splatter-Movies suchen. Oder tappt einfach im Dunkeln bei den großen Fragen des Lebens.

Sonntag, 6. Januar 2008

Geisteswissenschaftler - ab in die Kommunikation!

Kaum einer, der sich heute mit Realitätssinn für ein bestimmtes Studium entscheidet, wird sich darauf festlegen können, tatsächlich später im angestammten Berufsfeld seine Brötchen zu verdienen. Im Gegenteil: Mehr und mehr macht sich ein angelsächsisches Studienverständnis breit, bei dem das Studium dem Erwerb grundlegender Methodenkompetenzen dient, ohne auf eine konkrete beruflichen Verwertung hin orientiert zu sein. Wer in Cambridge „Classics“ und damit im Wesentlichen das Altertum studiert, wird seine tatsächliche berufliche Bestimmung immer eher in einer Bank oder im Journalismus finden als in einem Museum. Was du studierst ist eigentlich egal, so lange du dich im späteren Job als nützlich erweist. Auch in Deutschland macht sich mittlerweile Pragmatismus breit – bei Studierenden wie Arbeitgebern. So lange nicht der hochspezialisierte Herzchirurg oder Steuerrechtsspezialist gesucht wird, orientieren sich Unternehmen zusehends auf entwicklungsfähige Persönlichkeiten und grundlegende Schlüsselqualifikationen. Das ist grundsätzlich eine positive Entwicklung, die von der Kultivierung des Fachidiotentums wegführt oder dieses zumindest mit sozialen, wirtschaftlichen oder – kommunikativen Kompetenzen austariert. Die Kommunikationsbranche ist seit jeher von einer bunten akademischen Schar bevölkert. Und ihr Personalbedarf sorgt für anhaltende Attraktivität. Da kann es niemanden verwundern, dass bei Studiengängen mit „marktengen“ Jobperspektiven zunehmend das Berufsfeld Kommunikation ins Spiel gebracht wird. („Wenn alle Stricke reißen, kannst du ja immer noch in die Kommunikation gehen!“)

Jüngstes Fundstück: Die Arbeitgeberinformation Arbeitsmarkt Kompakt 2007 - Geisteswissenschaftler der Bundesagentur für Arbeit. Hier wird der Kommunikationsbranche empfohlen, bei der Besetzung von Stellen stärker auf Absolventen geisteswissenschaftlicher Studiengänge zu setzen. Warum? „Die Möglichkeiten, Geisteswissenschaftler einzusetzen, sind vielfältig – auch deshalb, weil sie während ihres Studiums Fähigkeiten erwerben, die überall in der Berufswelt nützlich sind: strukturiertes Denken, Argumentationsfähigkeit, sprachliches Ausdrucksvermögen, Kreativität, Selbstmotivation und ein großes Allgemeinwissen.“ So weit, so unstrittig und ohne Zweifel sind sprachliche und kulturelle Kompetenzen (und sei auch nur der gesittete Umgang mit Messer und Gabel) in jedem Job - also auch für unsere Branche - von Nutzen. Aber dann kommt’s:

„Wer einen Roman interpretieren kann, kann auch den Geschäftsbericht eines Unterneh­mens in eine verständliche Form bringen.“

Wow! Bei allem Verständnis für das Bemühen, im ausklingenden „Jahr der Geisteswissenschaften“ die Absolventen abseits der gängigen Stereotypen in ein gutes Licht zu rücken, möchte ich vor Bewerbern, die mit dieser Haltung ins Bewerbungsgespräch steuern, ausdrücklich warnen. Oder andersherum, liebe Geisteswissenschaftler: Bei allem Respekt vor Ihrem philologisch geschulten Geist: Bleiben Sie skeptisch gegenüber den Lobhudeleien Ihrer Arbeitsagentur! Im Ernst: Die redaktionelle Erarbeitung eines Geschäftsberichts oder sei es auch - nur- eines Umweltberichts erfordert weit mehr als den literarisch geschliffenen Umgang mit Textformaten. Wer sich hier ranwagt, muss über ein zutiefst gewachsenes inhaltliches Verständnis seines Gegenstands verfügen. Und vor allem in der Lage sein, diesen in der Dienst der Unternehmenskommunikation zu stellen. Weisheiten à la „Mit Goethe durchs Jahr“ düften hier nicht wirklich weiterhelfen. Klar, dem einen oder anderen Geschäftsbericht könnte eine Erweiterung des Horizontes gut tun. Gerne erinnern wir uns an die legendären Geschäftsberichte, die unter der Ägide von Manfred Piwinger in den 90er Jahren bei Vorwerk publiziert wurden. Und dennoch steht hier damals wie heute ein entwickeltes ökonomisches Verständnis im Vordergrund, unabhängig davon, auf welchem Wege dies erworben wurde. Man kann ja alles lernen. Hier allerdings liegen die Probleme bei vielen geisteswissenschaftlichen Bewerbern. Die meisten verfügen kaum über elementare betriebswirtschaftliche Kenntnisse, deren Praxis und Terminologie ihnen weitgehend fremd ist. Sie haben in ihrem Studium kaum Gelegenheit gehabt, Verständnis für Unternehmens-oder Managementprozesse zu erwerben. Wenn die erwähnte Broschüre zu der Aussage findet: „Berührungsängste von Geisteswissenschaftlerinnen und Geisteswissenschaftlern vor BWL-Themen nehmen ab.“, ist das für die Betroffenen erfreulich, für alle die mit solchen Kommunikationsleistungen Geld verdienen müssen aber unzureichend. Im Gegenteil: Unternehmen und Agenturen suchen in den letzten Jahren verstärkt Personal mit ökonomischem Verständnis gemäß dem Motto: Es ist nicht wichtig, was du studierst hast, wenn du über kommunikative Begabung und wirtschaftliches Know-how verfügst. Eine vielversprechende Perspektive eröffnet da die durch den Bologna-Prozess stimulierte Neuausrichtung der Kommunikatioinsstudiengänge. Während die neuen Bachelors mit den fachlichen Grundlagen ausgestattet vor allem für die Werkbank der Kommunikation gesucht werden, zeichnet sich ab, dass bei den Masters eine vielfältig spezialisierte neue Generation echter Kommunikationsprofis auf dem Weg ist. Ihnen allen ist gemeinsam, dass in ihrer akademischen Ausbildung betriebswirtschaftliches Wissen und Management-Know-how fundamental verankert ist. Davon sind die geisteswissenschaftlichen Studiengänge bis heute noch weit, weit entfernt.

Mittwoch, 2. Januar 2008

Laufend kommunizieren?

„Laufen Sie in einem Tempo, das es Ihnen immer noch erlaubt, während des Laufens mit Ihren Laufpartnern zu reden.“, heißt es in den Magazinen der Laufszene. Physiologisch gut gemeint, aber im Ernst: Will das jemand? Gerade für berufsmäßige Kommunikatoren ist es ein notwendiges Gegenprogramm durch schweigende Flora und Fauna zu traben und einmal keinen Medienvertretern, Stakeholdern und deren Kommunikationserwartungen zu begegnen. Vor allem die Tage „zwischen den Jahren“ verheißen hier ein paar erholsame Stunden in frostklirrender Kontemplation.

Wären da nicht die unvermeidlichen Begegnungen mit anderen Läufern oder der mittlerweile in deutlicher Überzahl stöckelnden neuen Stake-Holder, der Nordic Walker. Die anderen lassen sich natürlich nicht einfach ignorieren, wenn man an anderen Tagen des Jahres aktiv an der Beziehungs- und Grußkultur unter Läufern arbeitet. Dabei sieht man sich dann rasch wieder an den Luhmannschen Fundamentalsatz der Branche erinnert: „Kommunikation ist riskant!“ Will heißen: Wenn ich jetzt grüße, grüßt er zurück?

Die Empirie liefert ein paar typologische Hinweise:

  • Wer auf eine Entfernung von fünf Metern noch den Blick auf den Boden geheftet hält, mag nicht angesprochen werden. Dazu zählen vor allem meist allein laufende Frauen. O.k., ist wohl nachvollziehbar.
  • Lauf-Novizen hingegen sind mit der Grußpraxis nicht vertraut, aber oft am Laufstil erkennbar. Grüßen anfänglich gar nicht oder unsicher zurück. Das Bedürfnis dazu zu gehören, führt dann alsbald zu aktivem Grußverhalten.

  • Ganz anders dagegen Freizeitfußballer, denen der Trainer nach dem schwachen letzten Spiel zusätzliche Laufeinheiten verordnet hat. Haben eigentlich überhaupt keinen Bock auf das Laufen ohne Ball und muffeln sich möglichst grußlos über die Runden. Besser erst gar nicht ansprechen.

Eine gute Orientierung ist immer: Wer im Vorüberlaufen Blickkontakt aufnimmt, ist auch grußbereit.

Hat man sich nun auf die möglichen Herausforderungen der Laufetikette eingestellt, kommt die nächste gleich um die Ecke in Gestalt eines echten „Watchdogs“. Denn des Menschen bester Freund scheint den laufenden Menschen eher der Briefe zustellenden Kategorie der Spezies zuzuordnen. Zumindest einzelne Exmplare. Ich gebe zu, dass, wenn ein solcher Hund –leinenfrei– bellend auf mich zukommt, mein Pulsmesser sofort einen um mindestens 30 Schläge erhöhten Wert anzeigt. Das mit dem Blickkontakt könnte hier übrigens eine unerwünscht Kontakt fördernde Wirkung haben. Und dann springt er dich schon an, der dialektische Dreisatz des Hundehalters:

Der Hund nähert sich. - „Der tut nichts.“

Jetzt springt er an dir hoch. - „Der will doch nur spielen.“

Schließlich verbeißt er sich in den Ärmel deiner Jack-Wolfskin-Jacke und du hörst noch: „Das hat er aber noch nie getan.“

Merke: Gefahr geht nur von der Naivität oder Ignoranz der Hundehalter aus. Hunde sind nun mal sehr verspielt und schnelle Bewegungen können an ihre Jagdinstinkte appellieren, zumindest aber an ihren Spieltrieb. Zum richtigen Verhalten beim Zusammentreffen mit ("auffälligen") Hunden finden sich brauchbare Tipps in den einschlägigen Foren.

Wenn das alles nichts hilft, müssen Sie halt Opfer bringen: Gönnen Sie dem Hund eine Trophäe. Ein Laufhandschuh, die Trinkflasche, den Energieriegel. – Aber niemals Ihren Mitläufer!