Sonntag, 14. Dezember 2008

Schutzheiliger gesucht


Hand aufs Herz liebe KollegInnen der organisierten Kommunikation, in unserem Beruf kann doch eigentlich ganz schön viel schief gehen: CEOs straucheln in Prime-Time-Interviews, die wir ihnen unter Aufbietung aller von Standesregeln erlaubten Mitteln verschafft haben. Die neue Imagebroschüre war zum Börsengang leider noch nicht ausgetrocknet. Oder die indischen Journalisten sitzen wie versteinert vor dem Rindergulasch.

Wer hätte sich im Antlitz des Desasters nicht schon einmal nach himmlichem Beistand gesehnt? Meine katholische Prägung (7 Jahre Ministrant) lässt mich hoffen, im unerschöpflichen Pool der Schutzheiligen Rettung, wenn nicht sogar Erlösung zu finden. Schutzpatrone gibt es für Orte wie Hildesheim (Antonius von Padua), für Haustiere (Ambrosius) oder ganze Länder wie Russland (Andreas!). Ihre volkswirtschaftlich nützlichste Dienstleistung erbringen sie ohne Zweifel als Schutzheilige der Berufsgruppen. Floristen rufen die Heilige Dorothea an, wenn der Brautstrauss zu misslingen droht, die Ärzte des Marburger Bunds werden für ihre Tarifverhandlungen gewiss den Segen ihres Schutzpatrons Caesarius von Nazianz einholen, während der Heilige Bona von Pisa – nein, nicht den Lehrern – sondern den Flugbegleitern zum Klassenziel verhilft. Also, wenn Latrinenreiniger (Julius I.), Steuerberater (Mammas) und Postboten wie Radiosprecher (Erzengel Gabriel) über himmlisches Personal verfügen, warum nicht auch die Kommunikatoren?

Ich habe mich hier auf die Suche begeben und bin tatsächlich fündig geworden: Der Franziskaner Bernhardin von Siena (1380 – 1444) war ein gefürcheteter Prediger und ihm werden zahlreiche Wunder und Heilungen zugeschrieben. In diesen Fähigkeiten (in der Sprache unserer Zeit key competences) werden sich zweifelsohne viele meiner KollegInnen in Agenturen und Unternehmen wiedererkennen. Bernhardin wirkte Frieden stiftend in den italienischen Stadtkriegen und wurde schon zu Lebzeiten als Heiliger verehrt. Sein Ruhm gründet in seinen Predigten in der Sprache des Volkes, die von seinen Hörern gesammelt und überliefert wurden. Mit „IHS“ (Jesus – Hominum – Salvator) hat er zudem ein mächtiges Logo geschaffen, das sich der Jesuitenorden knapp 100 Jahre später für lau aneignete. Auch die inadäquate Honorierung bahnbrechender Kommunikationsleistungen ist unserer Profession leider vertraut.

Ich schlage vor, dass sich die DPRG als unser maßgeblicher Berufsverband, mit allem Nachdruck im Vatikan dafür einsetzt, ihre Schutzbefohlenen unter den heiligen Schirm von Bernhardin zu stellen. Scheinheilige haben wir schon genug und es ist an der Zeit, hier für eine anständige Positionierung der Branche zu sorgen. Ein nicht unwillkommener Zusatznutzen der Berufung wären schließlich die mit jedem Heiligen einhergehenden übernatürlichen Phänomene („Wunder“), für die wir in unserem Alltag gelegentlich Verwendung hätten. Am Gedenktag des Hl. Bernhardins , dem 20. Mai, stellen wir dann eine Kerze ins Fenster.

Donnerstag, 11. Dezember 2008

Entspannt: Everything that happens...

So manches was uns in diesen Tagen jene zügig auf das Rentenalter zuschreitende Altstars aus Rock und Pop, von Fleetwood Mac bis Led Zeppelin, auf Comeback-Farewell- oder Abschied-vom-Abschied-Tourneen zumuten, ist nur mit ausgeprägtem Sinn fürs Nostalgische und großem Respekt vor der jeweiligen Lebensleistung zu ertragen.

Jetzt haben sich zwei zurückgemeldet, von denen niemand ernsthaft eine finale Abkassiertour mit musikalischen Rezyklaten erwarten würde. Im Gegenteil: Wenn die Pop-Avantgardisten David Byrne (56) und Brian Eno (60) sich Jahre nach ihren Talking Heads-Erfolgen mit einem gemeinsamen Projekt zurückmelden, werden sie eine Menge erregter Aufmerksamkeit unter Kritikern (und alten Bewunderern wie mich) finden.

Allein die Story über die Entstehung ihres neuen Albuns „Everything That Happens Will Happen Today“ bedient alle Klischees über die intellektuelle wie künstlerische Experimentierfreude der beiden: Der eine (Eno) erwähnt bei einem gemeinsamen Dinner eher beiläufig, dass er noch ein paar instrumentelle Entwürfe in der Schublade hat, die darauf warten arrangiert und betextet zu werden. Der andere (Byrne) zeigt spontan Interesse und weiß seit 30 Jahren, zu was beide miteinander fähig sind. In einer mehrjährigen lebhaften E-Mail-Korrespondenz geht es fortan hin und her zwischen London und New York mit Arrangements, Lyrics und Probeaufnahmen.


Wer in das Ergebnis an einer beliebigen Stelle hineinhört, weiß um den entspannten Spirit mit dem die beiden Künstler ans Werk gegangen sein müssen. Hier musste sich offensichtlich keiner mehr was beweisen. Eno konnte sich, wie er sagt, ganz auf die lyrischen und melodiösen Instinkte seines Freundes verlassen, der wiederum auf Enos kreativen Einsatz von Samplings und Musikstilen von Country bis Gospel. Herausgekommen ist ein wirklich cooles, entspanntes Album, das selbst seine Schöpfer überrascht hat. Das Ergebnis, so Byrne, sei schon sehr verschieden von dem, was er alleine gemacht hätte. Er neige ja sonst doch zu eher komplizierten Formen. Aber die Hörer seien gewarnt: Hinter dem relaxten Titel, schmeichelnden Melodien und einem Cover, dass an die simplen Lebenswelten von Sims-Vorstadt-Familien erinnert, lauern natürlich unübesehbare Piktogramme des Anspruchs, wie der Warnhinweis an die Kritiker in „Strange Ovetones“: „Your words can not explain.“.


Wahre Fans indes freuen sich ganz schlicht über die vorweihnachtliche Überraschung und einen Vertriebsweg, der mindestens so „laid-back“ wie die neuen Songs ist: Wenige Klicks zur Registrierung auf www.everythingthathappens.com und schon startet der Download des Albums für umgerechnet schlanke 6,75 Euro auf den Rechner (Für 9 Euro kriegt man neben dem Download-Link auch noch die CD geschickt.) Fazit: Entspanntes Projekt, entspannte Musik. Glückliche Fans, verzweifelte Majors, denen mal wieder ein großer Wurf durch die Lappen gegangen ist. (déja vu? Siehe Beitrag weiter unten zu Radiohead)

Montag, 18. Februar 2008

Germany’s Next Top-Steuerhinterzieher

Sind Sie auch so schrecklich gespannt auf die nächsten Wochen? „Überraschungen von bisher unbekanntem Ausmaß“, verspricht uns die Staatsanwaltschaft Bochum. 900 Hausdurchsuchungsbeschlüsse bei 700 mutmaßlichen Steuersündern haben amtliche Drucker ausgespuckt. Bis zu 20 Heimsuchungen täglich werden die Nation in Atem halten. Wie nie zuvor in Deutschland wird die Justiz die Schlagzeilen der Presse und die Sondersendungen und Programme der Sender lenken.

Dieser Skandal wird die Repbulik aber in mehrfacher Hinsicht an ihre Grenzen führen. Die Übertragungswagen der Medien werden in ihrem Bemühen, die Prominenz des Landes per Reality-TV auf ihrem Gang in die U-Haft zu begleiten, kaum nachkommen. Sportler, Mediengrößen, Idole – die Betroffenen dürften ein paar schlaflose und bange Tage durchleben, der Voyeurismus im Volk Urstände feiern. Mitgefühl haben die Sünder nicht zu erwarten. Im Gegenteil, der zu erwartende Imageschaden und der Hohn werden enorm sein. Der Plebs wird sich auf der Couch empören und mit Genugtuung dem Bildschirm zuprosten. Wir werden in den nächsten Wochen pausenlos Kommentare zum Thema Gerechtigkeit und Vorbildfunktion im Verhältnis der Eliten zur Gesellschaft hören. Tatsächlich werden die Emotionen im Volk denen ähneln, mit denen Gaffer das Ende des 7er-BMW-Rasers unterm Sattelschlepper begleiten. Sozialneid, um es einmal unverblümt zu sagen, ist in diesem Land die dunkle Seite des Gerechtigkeitsempfindens. Land auf, Land ab wird man es sich wieder mit der Erkenntnis bequem machen, dass der Ehrliche der Dumme ist und finanzieller Erfolg am besten auf dem Rücken der Res Publica gedeiht. Um nicht missverstanden zu werden: Es ist wirklich erstaunlich, welche Energie Vermögende offenbar tagtäglich darauf aufwenden, dem Staatswesen, dem sie in der Regel ihren Aufstieg und ihren Wohlstand zu verdanken haben, ihren steuerlichen Beitrag zu den gesellschaftlichen Aufgaben, zu entziehen. Der Unterschied über zehn Jahre eine Vermögensanlage von 10 Millionen Euro auf 16 Millionen (ohne Steuern) oder schlappe 12,5 Millionen (mit Steuern) wachsen zu lassen, lässt den Preis der Moral erahnen. Die Tatsachen des Skandals wie dessen öffentliche Verarbeitung werden kaum förderlich auf die Entwicklung gesellschaftlicher Werte einwirken.

Erwartungsvoll richtet sich meine Aufmerksamkeit einstweilen auf die Rechtfertigungsversuche der prominenten Täter. Klaus Z., der im Kampf für Lohn-Gerechtigkeit und den wettbewerbsbereinigenden Mindestlohn einst sogar die päpstliche Enzyklika bemühte, hat zumindest geschwiegen und geräuschlos die Bildfläche geräumt. Das wird nicht allen gelingen. Ich bin zuversichtlich, dass bald schon von Hexenjagd, Missgunst und Pogromen gegen Leistungsträger die Rede sein wird. Wie groß war die Not, die das Vermögen der Eliten in die Vertreibung gezwungen hat? Wie groß die Einsamkeit an der frostigen Spitze dieser Neid-Gesellschaft? Wie unermesslich das Leiden am Steuerunrecht?
Mir fällt dazu nur Tucholsky ein: „Meine Sorgen möchte ich haben.“ – Fortsetzung folgt.

Sonntag, 10. Februar 2008

Unterwegs mit dem Bös-o-Meter


Nein, was Tony Wheeler da in seinem legendären Trecking-Verlag Lonely Planet vorgelegt hat, ist wahrlich nicht die Art Reiseführer auf dessen Spuren sich der gewöhnliche Rucksacktourist begeben sollte. „Bad Lands“ ist ein Reisebericht der besonderen Art. Denn die Destinationen um die es darin geht, werden seit 2002 von George W. Bush im Katalog der den Weltfrieden bedrohenden Staaten geführt. Tony Wheeler machte sich auf, um als „Tourist on the Axis of Evil“ die Wirklichkeit hinter den politischen Kriegsgemälden des „war on terror“ und den daraus gespeisten Medienklischees zu erkunden.

Wir erinnern uns: Im Jahre 2002 hatte George W. Bush die Welt vor den Staaten gewarnt, die den Terrorismus fördern oder den Frieden mit Massenvernichtungswaffen bedrohen: Iran, Irak und Nordkorea. Wheeler erweitert diese Liste „kongenial“ um weitere Paria-Staaten der US-Bedrohungsrhetorik: Afghanistan, Albanien, Burma, Kuba, Libyen und Saudi-Arabien.

Als Tourist die "Achse des Bösen" bereisen zu wollen, ist von geradezu plakativer Naivität. Natürlich weiß Wheeler um die jeweiligen politischen Verhältnisse und human rights records der Länder die er aufsucht. Und doch ist seine Herangehensweise unerhört wohltuend. Unter dem politischen Radar der Ideologen hinweg sucht er unvoreingenommen die Begegnung mit Menschen jenseits der Artefakte, die die politische Berichterstattung in unseren Köpfen hinterlässt.

Dass Wheeler Australier ist und nicht mit einem amerikanischen Pass herumreist, hat ihm sicher mancherorts nicht nur die Einreise, sondern auch den Zugang zu den Menschen erleichtert. Als erfahrener Backpacker hat er zudem geschärfte Sinne für Risiken wie für Chancen entwickelt. Und dass er einen Teil der Länder bereits von früher kannte und in jedem Land über wertvolle Kontakte verfügte, hat ihm viele Türen geöffnet, die dem normalen Touristen verschlossen geblieben wären.

In Albanien zeigt er uns, wie die bitterarmen Menschen in den post-kommunistischen Ruinen der Hoxha-Ära ihr Glück suchen und es notfalls sogar in den unkaputtbaren übers ganze Land verstreuten Iglu-Bunkern finden. In Afghanistan entdeckt er für uns das zarte Erwachen einer von Krieg und Taliban geschundenen großen Kulturnation. Wer dachte, die Apartheid sei mit dem regime change in Südafrika von der Landkarte verschwunden, sollte dringend den Abschnitt Wheelers zu Saudi Arabien lesen. Hier reicht es im 21. Jahrhundert immer noch aus, eine Frau zu sein, um weitgehend entrechtet von jedem Alltag ausgeschlossen zu sein. Der ganze Katalog der lawful sanctions, die die Scharia für Gesetzesverstöße bereithält, - von öffentlichen Amputationen bis zu Steinigungen ­und Enthauptungen mit dem Schwert - sorgt hier für Ruhe und Ordnung. Eine umfassende Zensur der Medien stellt sicher, dass die Bilder einer repressiven Geschlechter-Diktatur (die den Taliban übrigens als vorbildlich gilt) kaum in die Medien der Welt gelangen.

Der Alltag von Frauen im Iran liest sich dagegen wie ein eleganter Hüftschwung durch die Bühnenkulisse der Religionswächter. Bizarres Highlight der Tour des Schreckens ist allerdings unangefochten Nord-Korea: Ein stalinistischer Themenpark, „wie ein Gulag, von Monty Python betrieben“. Autobahnen auf denen einzelne Wagen noch die freie Wahl der Fahrspuren haben, kann es heute wahrscheinlich nur noch in totalitären Staaten geben.

Am Ende ist dem Autor wohl doch nicht so ganz wohl gewesen, Länder wie Albanien, Kuba oder Saudi-Arabien auf einen Nenner gebracht zu haben. Zur besseren Unterscheidung hat Wheeler sich das Evil Meter ™ gebastelt. Was macht ein Land zu einem „bösen“ Land?
Drei Fragen sind es, die er seinem Rating zu Grunde legt: Wie geht das Land mit seinen Bürgern um? Fördert es den Terrorismus? Ist es eine Bedrohung für andere Staaten?

Wheeler kommt in seinem Bericht nie als sonderlich politischer Beobachter rüber. Und doch erweist sich sein Buch als hoch politisch, indem es offenbart, wie leicht Medien in den Dienst eines politischen Kampfbegriffes geraten. Und dabei zunehmend ausblenden, wie vielfältig die Realität auch in einem Schurkenstaat aussehen kann.

Sonntag, 3. Februar 2008

Vom Präsentieren

O.k., diese Agenturspezies hat schon so ihre Marotten. Eine davon ist ohne Zweifel ihre Präsentationswut. Von der großen Präsentation im Neugeschäftspitch über die Präsentation im Strategieworkshop bis runter zur Vorstellung der letzten Medienresonanzanalyse glühen die Beamer nahezu im Dauerbetrieb. Wenn der Tag kommt, dass wir zu unserem Schöpfer gerufen werden, wird an Heaven’s Gate der Satz zu hören sein: „Haben wir vielleicht noch zehn Minuten?. Ich habe Ihnen da etwas mitgebracht, das ich Ihnen gerne zeigen würde…“ My final credential presentation. Nicht auszudenken jedoch, wir landeten in der Hölle, wo uns eine 24/7-Dauerpräsentation unserer Worst-of-PowerPoint erwartete...

Woher kommt diese Präsentationswut? Vielleicht hat es einfach damit zu tun, dass wir Berater in der Regel im Hintergrund agieren. Der Auftritt vor den Kameras und Mikrofonen, die Bühne der Öffentlichkeit, gehört unseren Kunden, ihren Marken und Produkten. Unsere Bühne ist der Konferenzraum des Kunden. Und unsere Präsentation ist eher die Motivationsveranstaltung hinter den Kulissen. Denn wenn wir präsentieren, geht es meist um mehr als um reine Informationsvermittlung. Wir wollen Begeisterung für eine Idee vermitteln, nicht selten auch Kraft unserer Persönlichkeit überzeugen oder einfach das Selbstvertrauen auf der anderen Seite für notwendige Maßnahmen stärken. Unsere, zumindest temporäre Identifikation mit einer Aufgabe, angereichert mit einer guten Dosis Adrenalin, kann in solchen Augenblicken manchen Widerstand überwinden: Misstrauen in die Umsetzbarkeit von Konzepten, Budgetrestriktionen, nicht selten sogar die Selbstzweifel und Frustrationen des Personals. Und das ist gut so. Denn wir müssen immer wieder zeigen, dass wir genügend Kraft und Enthusiasmus haben, eine anspruchsvolle Mission zu erfüllen. Keine Frage, dass manch einer dabei schon mal übers Ziel hinausschießt. Enthusiasmus für eine Aufgabe ist nicht mit blinder Gefolgschaft oder Opportunismus zu verwechseln. Manch ein Kunde wäre schon froh, wenn sich das Feuer aus der Präsentation einigermaßen über den Tag der Beauftragung hinaus erhalten ließe.

Heute ist Sonntag. Mich weht die Erkenntnis an, dass ich im Präsentationsauftritt von meiner katholischen Erziehung und den sieben Jahren als Messdiener am Altar von St. Gertrudis profitiere. Hier habe ich einen Sinn entwickelt für die Kraft des gesprochenen Wortes in der Dramaturgie („Sacra Liturgia“) von Agenden, Orgelmusik, kollektiven Zeremonien, Weihrauch und Opfern. Vor allem habe ich gelernt, dass am Ende der Messfeier, die Gemeinde ein Gefühl von Gemeinsamkeit erneuern und neue Kraft für die vor ihr liegenden Tage schöpfen will. Ein wenig so – bei allem Respekt vor Glaubensakten – ist es auch bei Präsentationen. Mag die beteiligte Technik sich über die Jahre verändert haben, die zugrundeliegende Psychologie ist seit der Verbreitung der frohen Botschaft die gleiche geblieben.

Ja, ja, die Technik. Angefangen hat es damals mit Overhead-Folien in Flip-Frames (auf deren ausklappbaren Rändern man sich so praktisch Stichworte notieren konnte), größere Präsentationen dann wurden in eine Diashow überführt. Dann ab Mitte der Neunziger der Durchbruch für Notebook, PowerPoint und Beamer. Die Präsentation beginnt sich hier vom Präsentator zu lösen. Mehr und mehr sind hier die Visualisierung und die gestalterischen Effekte des Mediums in den Vordergrund getreten. Aufwändige Flash-Animationen, Videoeinspielungen und spektakuläre Aufbaugrafiken wollen Eindruck und Emotionen schinden, um nicht der Tagesform des Vortragenden ausgeliefert zu sein. (Tatsächlich habe ich die unbeholfensten und hölzernsten Präsentationen ausgerechnet bei Werbern erlebt, also einer Gattung, die gleichzeitig die höchsten Ansprüche an emotionale Wirkungen stellt.)

Ein neues Angebot mag nun die Vortragenden weitgehend von den Unwägbarkeiten des persönlichen Auftritts befreien. Bei den Voice-over-Slides der Frankfurter Agentur Schallmarke wird die PowerPoint-Präsentation in eine selbstlaufende Flashpräsentation überführt. Das ist so weit noch nichts Ungewöhnliches. Neu hingegen ist, dass ein professioneller Sprecher die Rolle des Präsentators übernimmt. Was Hörbüchern zu Erfolgsumsätzen verhilft, sollte Marketiers und Vertriebspersonal billig sein, mögen sich die beiden Köpfe hinter Schallmarke gedacht haben. Jo Löw und Jörg Middelkamp haben es nämlich faustdick hinter den Ohren. Die beiden – der eine Komponist und Musikproduzent, Kommunikationsberater der andere – haben sich darauf spezialisiert, Markenpersönlichkeiten und Corporate Identities in Klänge umzusetzen. „Akustische Markenführung“ nennt sich die junge Kommunikationsdisziplin, bei der eine akustische Signatur für Wiedererkennbarkeit sorgt. Ihr erstes Produkt, die Businessmailbox, hatte ihnen bereits den Frankfurter Gründerpreis 2007 eingebracht. Ein von Schallmarke entwickeltes Verfahren macht es dabei möglich, Mailboxansagen in hochwertige Hörmarken, sogenannte Audiologos, zu verwandeln. Wie sich zeigte, ein gefragtes Angebot bei großen Markenunternehmen mit mobilem Personal und intensivem Kundenkontakt. Auch die neuen Voice-over-Slides zielen darauf, Marken in ungeschützten Räumen und Begegnungen zu einem verlässlichen Auftritt zu verhelfen. Der entscheidende Vorsprung gegenüber der automatenhaften Sprechbegleitung, wie wir sie aus Webinars und Messepräsentationen kennen, liegt klar in der Sprecherqualität. Ein internationaler Sprecherpool von über einhundert professionellen Stimmen aller Genres sorgt für die passende Ansprache und CI-Kompatibilität. Prominente Stimmen, vielleicht sogar die des Werbetestimonials, können in Einzelfällen für die nötige Aufmerksamkeit sorgen. Das neue Angebot wird gewiss seinen Markt finden. – Und ich überlege mir einstweilen, ob ich mich bei einer der nächsten Präsentationen verbal einmal von Piet Klocke vertreten lasse…

Dienstag, 29. Januar 2008

Mindestens so spannend wie ihr neues Album ist ihr Marketing: Der Fall Radiohead.

Nur wenige Bands haben es bis heute verstanden, die kommunikativen Möglichkeiten des Web 2.0 so sehr mit ihren künstlerischen Ausdrucksformen zu verbinden, wie das der britischen Band Radiohead eindrucksvoll gelingt.

Die Band machte im letzten Oktober Schlagzeilen als sie ihr jüngstes Album In Rainbows im Online-Selbstvertrieb auf den Markt brachte. Von einer „Zeitenwende“ war die Rede, von einem weiteren „Sargnagel für die Major-Labels“. Tatsächlich war das Album in wenigen Tagen 1,2 Millionen Mal über die Website der Band www.inrainbows.com heruntergeladen worden und machte die Website zum meistgeclickten Angebot auf der Insel. Radiohead dagegen produzierte nicht nur eines der besten Alben in seiner an Höhepunkten nicht armen Geschichte. (Siehe auch die ausführliche Track-by-Track-Vorstellung bei Rolling Stone mit vielen Preview-Clips.) Sie stellten vielmehr ihren „Kunden“ frei, selbst über die Höhe des Kaufpreises zu bestimmen. Dass die Band nach Auslaufen ihres Vertrags mit EMI die Nase von den Majors gründlich voll hatte, war weithin bekannt. Und dass es dabei nicht nur ums Geld ging und das EMI-Management sich wie „a confused bull in a china shop“ verhielt, hatte Frontmann Thom Yorke im eigenen Blog mehr als deutlich gemacht. Dennoch: So ganz trauten sie sich jedoch wohl doch (noch) nicht, den gewohnten Vertriebswegen den Rücken zu kehren. Sie begrenzten den Downloadzeitraum auf acht Wochen und brachten das Werk anschließend in einer luxuriösen CD + Vinyl-Box mit ein paar zusätzlichen Tracks heraus. Seit wenigen Tagen ist die reguläre CD über das Independent-Label XL Recordings auch im Handel erhältlich.

Wie auch immer man die Vorgehensweise bewertet, das Konzept findet Nachahmer. Stars wie Prince oder Gnarls Barkley haben mit dieser Vertriebsform erste Erfahrungen gesammelt. Auch von Jamiroquai und Oasis, seit einiger Zeit ebenfalls ohne Plattenvertrag, heißt es, die nächste Produktion soll im Selbstvertrieb unters Volk kommen. Gruppen wie die Arctic Monkeys sind gar ausschließlich über den Netzvertrieb groß geworden. Den Plattenlabels muss dieser Trend wie ein neues Kapitel im Buch der Plagen erscheinen. Nach der Seuche Filesharing, die notdürftig mit aggressiven rechtlichen Offensiven eingedämmt werden konnte, zieht für die Majors nun eine neue Bedrohung am Horizont auf. Selbstvertrieb galt bis zuletzt als Domäne kleiner, unbekannter Independent Groups, die keinen Zugang zu großen Plattenlabels fanden. Bei aller Anarchie im Markt, konnte man sich zumindest lange Zeit auf die Loyalität der Stars und deren Wertschätzung für die Marktpower der Majors verlassen. Dieser Pakt wird brüchig. Auch Stars machen die Erfahrung, dass sie sich ohne Schaden ein Stück weit von der Vertriebs- und Vermarktungsmaschinerie der Labels, die ja auch gerne mal gängeln, frei machen können. Zumindest gewinnen etablierte Künstler ein zusätzliches Drohpotenzial. Der Fall Radiohead könnte schnell weitere Nachahmer finden.

In der begleitenden Kommunikation ziehen Radiohead alle Register: Zum neuen Jahr überraschten sie ihre Fans mit einem gelungenen Webcast, der unter dem Titel Scotch Mist








Livefassungen der neuen Songs in mystische Motive eingebettet präsentierte. Sehr empfehlenswert. Diese Musik kriecht in alle Gehirnwindungen und setzt sich dort fest. Eine ganz feine Droge. Das war ein gelungener Jahresauftakt und Radiohead machten deutlich, dass auch in 2008 mit ihnen zu rechnen ist. Bereits zwei Wochen später luden sie zu einem Überraschungs-Gig in einen Londoner Plattenshop ein. Über die eigene Website wurden die Fans organisiert und wer nicht vor Ort dabei sein konnte, für den öffnete www.radiohead.tv weltweit den Zugang zum Konzert. Ihr Weblog Dead Air Space hält die Community unterdessen über alle Schritte und Projekte der Band auf dem Laufenden.

How much are you going to pay? It’s up to you!

Mit Radioheads Entscheidung, den Kaufpreis den Kunden zu überlassen, kommt eine ganz andere Fragestellung aufs Tapet, die bei Ökonomen immer wieder Irritation und bei Kommunikatoren Verzückung auszulösen vermag: Warum zahlen Menschen für etwas, das sie auch kostenlos bekommen können? Für Ökonomen gehört der Grundsatz von der Nutzenmaximierung zu den unumstößlichen Glaubenssätzen. Danach wählen Menschen aus den gebotenen Möglichkeiten immer diejenige mit dem größten Nutzen aus. Aus dieser Perspektive macht es einfach keinen Sinn, für den Download der CD 5$ zu zahlen, wenn man diesen auch für lau erhalten kann. Als Ausnahme konnten Ökonomen bisher vor allem altruistische Motive und Präferenzen zulassen, wie wir sie von sozialen Projekten kennen. Aber kann eine reiche Band wie Radiohead abseits ökonomischer Rationalität einen sozialen Nutzen geltend machen? (siehe auch die ausführliche Erörterung des Themas im Weblog von Christian Voigt)

Bei näherer Betrachtung scheint ein breites Spektrum an Motiven vertreten zu sein. Zunächst sind da die 62 Prozent, die sich nach Erkenntnissen des Marktforschungsinstituts ComScore, sagen wir, „systemkonform“ verhalten und nix bezahlt haben. Bei den verbleibenden 38 Prozent kommen unterschiedliche Motive in Frage. Ohne Zweifel können eingefleischte Radiohead-Fans ihre „Wert-Schätzung“ nur annähernd überweisen, ohne sich damit gleich zu ruinieren. Bei anderen mag es eine Ethik des fairen Miteinanders (und schlechten Gewissens) sein, für eine nützliche Leistung einen Gegenwert zu erbringen.

Ich bin der Meinung, dass die bezahlten Downloads als politisches Statement zu werten sind. Jeder freiwillige Euro, Dollar und jedes Pfund waren ein Votum gegen die herrschenden Marktstrukturen und für den Internet-Direktvertrieb. Der Konsument lässt genussvoll seine Muskeln spielen und zeigt den Majorlabels, wo der Bartel den Most holt. Nämlich online, ohne Zwischenhandel und direkt beim Erzeuger. Der Bauernhofverkauf lässt grüßen. Radiohead haben sich als Rebellen auf Zeit geriert und den Fans hat’s gefallen, sich damit zu solidarisieren. Ob sich der Fall als model case für die Branche eignet, darf bezweifelt werden. So weit dürfte die Freiwilligkeit nicht gehen, jeder Gruppe diesen Modus künftig zuzugestehen. Aber es wird weiter fröhlich experimentiert: Die Eagles vertreiben ihr Comeback-Album exklusiv über Wal-Mart und das neue Paul McCartney-Album kann man in den USA nur an der Kasse von Starbucks erhalten. Für Radiohead dürfte der Versuchsballon dopppelte Rendite abgeworfen haben: Wirtschaftlich mit im Schnitt 4,12 Euro (mit keinem Label zu teilen, die Nichtzahler drückten den Durchschnitt auf knapp über einen Euro) dürfte die Band mit den nachlaufenden Einnahmen aus dem regulären Verkauf des Albums gut im Rennen liegen. Richtig lohnen indes wird sich die phänomenale weltweite Publicity rund um den In Rainbows-Coup. Im Wettbewerb um Aufmerksamkeit dürfte die Gruppe ihren Claim abgesteckt haben: Die für Sommer anstehende Europatournee der Band ist jedenfalls schon in vielen Ländern ausverkauft.

Dienstag, 22. Januar 2008

Convenient Tales und Disneysierung: Schluss mit der Märchen-Manipulation!

Märchen, da sind sich Eltern und Pädagogen mal einig, sind wichtig für die Kindesentwicklung. Märchen stärken das Selbstvertrauen. Sie regen Phantasie und Kreativität an. Sie schärfen den Sinn für Lösungsansätze. So weit die gute Theorie. Tatsächlich sind viele Klassiker heute nur noch in „getunten“ oder verstümmelten Versionen im kulturellen Umlauf. Original und Fälschung – wer kann das noch entscheiden. Jüngstes Opfer: Meine Frau auf dem Stuhl bei „Wer wird Millionär?“. Bei 16.000 Euro steht sie vor der Frage: „Wer überlebt in dem Märchen von Hase und Igel?“ Der Igel? Der Hase? Beide? Keiner? - Sie kennt den Plot im Grundthema - das ist der Blickwinkel des Hasen, der bei wiederholten Anläufen an einem Konkurrenten („Ick bün all hier.“) nicht vorbeikommt - und glaubt, dass beide überleben. Die Befragung des Publikums und der hinzugezogene märchenerfahrene Telefonjoker gelangen zur selben Vermutung. Tja, und das war’s auch schon auf dem Weg zur ersten Million. Spaß gemacht hat’s trotzdem.

Dennoch haben wir uns gefragt, wie ein solcher Irrtum in unsere Köpfe kommt. Dazu zwei Beobachtungen. Erstens: die wenigen im Freundes-, Familien- und Kollegenkreis, die die Antwort wussten, waren meist deutlich über fünfzig Jahre alt. Zweitens: Nicht wenige der jüngeren waren überzeugt, die Geschichte zu kennen, wussten aber nichts vom Ableben des Hasen („Wie, da stirbt doch niemand!?“). Tatsächlich hatten die älteren noch das Grimm’sche Original vorgelesen bekommen, wir Jüngeren aber meist nur „entschärfte“ Versionen kennen gelernt.

Wer darüber mit Literaturwissenschaftlern und Psychologen spricht, gelangt zu verblüffenden Einsichten. Danach hat Zensur von Märchen Tradition. Sei es um vor etwa hundert Jahren eine neue Vorstellung von Kindheit vor Gewalteindrücken zu bewahren, oder, nach den Gräueln des Zweiten Weltkriegs (hier fanden die radikalsten Eingriffe in die Grimmschen Märchen statt) Menschen möglichst nur mit „heilen“ Märchenbildern zu versorgen. Erst in den Siebziger Jahren verstärkten sich Hinweise aus der Psychologie, dass Kinder durchaus in der Lage sind, Schrecken und Gewalt in Märchen produktiv zu verarbeiten. In seiner Schrift „Kinder brauchen Märchen“ hat der große Psychotherapeut (aber auch Philosoph und Germanist) Bruno Bettelheim auf die heilsame Wirkung solcher Märcheninhalte und der Vision vom glücklichen Ende hingewiesen. Die Bösen werden vernichtet und die Guten leben glücklich bis an ihr Lebensende. Aber: Nur wer eine Ahnung vom Bösen gewinnt, kann den Antrieb entwickeln, dieses zu überwinden. Doch alle Wissenschaft konnte den Mainstream der Manipulation nicht aufhalten. Im Gegenteil: Der Kuschelpädagogik folgte die Kommerzialisierung des Kulturgutes. Forscher weisen darauf hin, dass vor allem Disney-Produktionen den Märchen in ihrer ursprünglichen Fassung den Garaus gemacht haben. Da vergibt sogar das berühmte Aschenputtel seinen Schwestern und alle leben glücklich bis an ihr Lebensende, während die Grimmsche Fassung den bösen Schwestern noch jeweils ein Auge von Vögeln auspicken ließ.


Ähnliche Schicksale erlitten Klassiker wie „Die Schatzinsel“, „Gullivers Reisen“ oder „Oliver Twist“, die heute oft in trivialisierten, weichgespülten Versionen im Umlauf sind.
Ging es den einen noch darum, den Stoff in eine zeitgemäßere und vermeintlich attraktivere Sprache zu überführen, war den nächsten „Bearbeitern“ daran gelegen, die Story „kindgerecht“ von den Schrecken des Todes und der Gewalt zu befreien. Nur zum Spaß: Kramt doch mal Kinderbücher mit Grimms Märchen hervor und vergleicht den Inhalt mit den Originaltexten der Gebrüder. Von wegen: "Hu! Da fing sie an zu heulen, ganz grauselich; aber Gretel lief fort, und die böse Hexe musste elendiglich verbrennen." Da dürfte die ein oder andere Überraschung lauern, gell?

Da lob ich mir doch Wikipedia. Da kann man wenigstens noch nachvollziehen, wer wann und wie am Ursprungstext herumgepfuscht hat. Für uns indes heißt die Losung: Finger weg von den Aschenputteln, Hasen und Igeln reloaded! Wer mit derart sterilisierter geistiger Flaschennahrung aufgezogen wurde, muss sich später einen Ausgleich in Ego-Shootern und Splatter-Movies suchen. Oder tappt einfach im Dunkeln bei den großen Fragen des Lebens.

Sonntag, 6. Januar 2008

Geisteswissenschaftler - ab in die Kommunikation!

Kaum einer, der sich heute mit Realitätssinn für ein bestimmtes Studium entscheidet, wird sich darauf festlegen können, tatsächlich später im angestammten Berufsfeld seine Brötchen zu verdienen. Im Gegenteil: Mehr und mehr macht sich ein angelsächsisches Studienverständnis breit, bei dem das Studium dem Erwerb grundlegender Methodenkompetenzen dient, ohne auf eine konkrete beruflichen Verwertung hin orientiert zu sein. Wer in Cambridge „Classics“ und damit im Wesentlichen das Altertum studiert, wird seine tatsächliche berufliche Bestimmung immer eher in einer Bank oder im Journalismus finden als in einem Museum. Was du studierst ist eigentlich egal, so lange du dich im späteren Job als nützlich erweist. Auch in Deutschland macht sich mittlerweile Pragmatismus breit – bei Studierenden wie Arbeitgebern. So lange nicht der hochspezialisierte Herzchirurg oder Steuerrechtsspezialist gesucht wird, orientieren sich Unternehmen zusehends auf entwicklungsfähige Persönlichkeiten und grundlegende Schlüsselqualifikationen. Das ist grundsätzlich eine positive Entwicklung, die von der Kultivierung des Fachidiotentums wegführt oder dieses zumindest mit sozialen, wirtschaftlichen oder – kommunikativen Kompetenzen austariert. Die Kommunikationsbranche ist seit jeher von einer bunten akademischen Schar bevölkert. Und ihr Personalbedarf sorgt für anhaltende Attraktivität. Da kann es niemanden verwundern, dass bei Studiengängen mit „marktengen“ Jobperspektiven zunehmend das Berufsfeld Kommunikation ins Spiel gebracht wird. („Wenn alle Stricke reißen, kannst du ja immer noch in die Kommunikation gehen!“)

Jüngstes Fundstück: Die Arbeitgeberinformation Arbeitsmarkt Kompakt 2007 - Geisteswissenschaftler der Bundesagentur für Arbeit. Hier wird der Kommunikationsbranche empfohlen, bei der Besetzung von Stellen stärker auf Absolventen geisteswissenschaftlicher Studiengänge zu setzen. Warum? „Die Möglichkeiten, Geisteswissenschaftler einzusetzen, sind vielfältig – auch deshalb, weil sie während ihres Studiums Fähigkeiten erwerben, die überall in der Berufswelt nützlich sind: strukturiertes Denken, Argumentationsfähigkeit, sprachliches Ausdrucksvermögen, Kreativität, Selbstmotivation und ein großes Allgemeinwissen.“ So weit, so unstrittig und ohne Zweifel sind sprachliche und kulturelle Kompetenzen (und sei auch nur der gesittete Umgang mit Messer und Gabel) in jedem Job - also auch für unsere Branche - von Nutzen. Aber dann kommt’s:

„Wer einen Roman interpretieren kann, kann auch den Geschäftsbericht eines Unterneh­mens in eine verständliche Form bringen.“

Wow! Bei allem Verständnis für das Bemühen, im ausklingenden „Jahr der Geisteswissenschaften“ die Absolventen abseits der gängigen Stereotypen in ein gutes Licht zu rücken, möchte ich vor Bewerbern, die mit dieser Haltung ins Bewerbungsgespräch steuern, ausdrücklich warnen. Oder andersherum, liebe Geisteswissenschaftler: Bei allem Respekt vor Ihrem philologisch geschulten Geist: Bleiben Sie skeptisch gegenüber den Lobhudeleien Ihrer Arbeitsagentur! Im Ernst: Die redaktionelle Erarbeitung eines Geschäftsberichts oder sei es auch - nur- eines Umweltberichts erfordert weit mehr als den literarisch geschliffenen Umgang mit Textformaten. Wer sich hier ranwagt, muss über ein zutiefst gewachsenes inhaltliches Verständnis seines Gegenstands verfügen. Und vor allem in der Lage sein, diesen in der Dienst der Unternehmenskommunikation zu stellen. Weisheiten à la „Mit Goethe durchs Jahr“ düften hier nicht wirklich weiterhelfen. Klar, dem einen oder anderen Geschäftsbericht könnte eine Erweiterung des Horizontes gut tun. Gerne erinnern wir uns an die legendären Geschäftsberichte, die unter der Ägide von Manfred Piwinger in den 90er Jahren bei Vorwerk publiziert wurden. Und dennoch steht hier damals wie heute ein entwickeltes ökonomisches Verständnis im Vordergrund, unabhängig davon, auf welchem Wege dies erworben wurde. Man kann ja alles lernen. Hier allerdings liegen die Probleme bei vielen geisteswissenschaftlichen Bewerbern. Die meisten verfügen kaum über elementare betriebswirtschaftliche Kenntnisse, deren Praxis und Terminologie ihnen weitgehend fremd ist. Sie haben in ihrem Studium kaum Gelegenheit gehabt, Verständnis für Unternehmens-oder Managementprozesse zu erwerben. Wenn die erwähnte Broschüre zu der Aussage findet: „Berührungsängste von Geisteswissenschaftlerinnen und Geisteswissenschaftlern vor BWL-Themen nehmen ab.“, ist das für die Betroffenen erfreulich, für alle die mit solchen Kommunikationsleistungen Geld verdienen müssen aber unzureichend. Im Gegenteil: Unternehmen und Agenturen suchen in den letzten Jahren verstärkt Personal mit ökonomischem Verständnis gemäß dem Motto: Es ist nicht wichtig, was du studierst hast, wenn du über kommunikative Begabung und wirtschaftliches Know-how verfügst. Eine vielversprechende Perspektive eröffnet da die durch den Bologna-Prozess stimulierte Neuausrichtung der Kommunikatioinsstudiengänge. Während die neuen Bachelors mit den fachlichen Grundlagen ausgestattet vor allem für die Werkbank der Kommunikation gesucht werden, zeichnet sich ab, dass bei den Masters eine vielfältig spezialisierte neue Generation echter Kommunikationsprofis auf dem Weg ist. Ihnen allen ist gemeinsam, dass in ihrer akademischen Ausbildung betriebswirtschaftliches Wissen und Management-Know-how fundamental verankert ist. Davon sind die geisteswissenschaftlichen Studiengänge bis heute noch weit, weit entfernt.

Mittwoch, 2. Januar 2008

Laufend kommunizieren?

„Laufen Sie in einem Tempo, das es Ihnen immer noch erlaubt, während des Laufens mit Ihren Laufpartnern zu reden.“, heißt es in den Magazinen der Laufszene. Physiologisch gut gemeint, aber im Ernst: Will das jemand? Gerade für berufsmäßige Kommunikatoren ist es ein notwendiges Gegenprogramm durch schweigende Flora und Fauna zu traben und einmal keinen Medienvertretern, Stakeholdern und deren Kommunikationserwartungen zu begegnen. Vor allem die Tage „zwischen den Jahren“ verheißen hier ein paar erholsame Stunden in frostklirrender Kontemplation.

Wären da nicht die unvermeidlichen Begegnungen mit anderen Läufern oder der mittlerweile in deutlicher Überzahl stöckelnden neuen Stake-Holder, der Nordic Walker. Die anderen lassen sich natürlich nicht einfach ignorieren, wenn man an anderen Tagen des Jahres aktiv an der Beziehungs- und Grußkultur unter Läufern arbeitet. Dabei sieht man sich dann rasch wieder an den Luhmannschen Fundamentalsatz der Branche erinnert: „Kommunikation ist riskant!“ Will heißen: Wenn ich jetzt grüße, grüßt er zurück?

Die Empirie liefert ein paar typologische Hinweise:

  • Wer auf eine Entfernung von fünf Metern noch den Blick auf den Boden geheftet hält, mag nicht angesprochen werden. Dazu zählen vor allem meist allein laufende Frauen. O.k., ist wohl nachvollziehbar.
  • Lauf-Novizen hingegen sind mit der Grußpraxis nicht vertraut, aber oft am Laufstil erkennbar. Grüßen anfänglich gar nicht oder unsicher zurück. Das Bedürfnis dazu zu gehören, führt dann alsbald zu aktivem Grußverhalten.

  • Ganz anders dagegen Freizeitfußballer, denen der Trainer nach dem schwachen letzten Spiel zusätzliche Laufeinheiten verordnet hat. Haben eigentlich überhaupt keinen Bock auf das Laufen ohne Ball und muffeln sich möglichst grußlos über die Runden. Besser erst gar nicht ansprechen.

Eine gute Orientierung ist immer: Wer im Vorüberlaufen Blickkontakt aufnimmt, ist auch grußbereit.

Hat man sich nun auf die möglichen Herausforderungen der Laufetikette eingestellt, kommt die nächste gleich um die Ecke in Gestalt eines echten „Watchdogs“. Denn des Menschen bester Freund scheint den laufenden Menschen eher der Briefe zustellenden Kategorie der Spezies zuzuordnen. Zumindest einzelne Exmplare. Ich gebe zu, dass, wenn ein solcher Hund –leinenfrei– bellend auf mich zukommt, mein Pulsmesser sofort einen um mindestens 30 Schläge erhöhten Wert anzeigt. Das mit dem Blickkontakt könnte hier übrigens eine unerwünscht Kontakt fördernde Wirkung haben. Und dann springt er dich schon an, der dialektische Dreisatz des Hundehalters:

Der Hund nähert sich. - „Der tut nichts.“

Jetzt springt er an dir hoch. - „Der will doch nur spielen.“

Schließlich verbeißt er sich in den Ärmel deiner Jack-Wolfskin-Jacke und du hörst noch: „Das hat er aber noch nie getan.“

Merke: Gefahr geht nur von der Naivität oder Ignoranz der Hundehalter aus. Hunde sind nun mal sehr verspielt und schnelle Bewegungen können an ihre Jagdinstinkte appellieren, zumindest aber an ihren Spieltrieb. Zum richtigen Verhalten beim Zusammentreffen mit ("auffälligen") Hunden finden sich brauchbare Tipps in den einschlägigen Foren.

Wenn das alles nichts hilft, müssen Sie halt Opfer bringen: Gönnen Sie dem Hund eine Trophäe. Ein Laufhandschuh, die Trinkflasche, den Energieriegel. – Aber niemals Ihren Mitläufer!