Sonntag, 6. Januar 2008

Geisteswissenschaftler - ab in die Kommunikation!

Kaum einer, der sich heute mit Realitätssinn für ein bestimmtes Studium entscheidet, wird sich darauf festlegen können, tatsächlich später im angestammten Berufsfeld seine Brötchen zu verdienen. Im Gegenteil: Mehr und mehr macht sich ein angelsächsisches Studienverständnis breit, bei dem das Studium dem Erwerb grundlegender Methodenkompetenzen dient, ohne auf eine konkrete beruflichen Verwertung hin orientiert zu sein. Wer in Cambridge „Classics“ und damit im Wesentlichen das Altertum studiert, wird seine tatsächliche berufliche Bestimmung immer eher in einer Bank oder im Journalismus finden als in einem Museum. Was du studierst ist eigentlich egal, so lange du dich im späteren Job als nützlich erweist. Auch in Deutschland macht sich mittlerweile Pragmatismus breit – bei Studierenden wie Arbeitgebern. So lange nicht der hochspezialisierte Herzchirurg oder Steuerrechtsspezialist gesucht wird, orientieren sich Unternehmen zusehends auf entwicklungsfähige Persönlichkeiten und grundlegende Schlüsselqualifikationen. Das ist grundsätzlich eine positive Entwicklung, die von der Kultivierung des Fachidiotentums wegführt oder dieses zumindest mit sozialen, wirtschaftlichen oder – kommunikativen Kompetenzen austariert. Die Kommunikationsbranche ist seit jeher von einer bunten akademischen Schar bevölkert. Und ihr Personalbedarf sorgt für anhaltende Attraktivität. Da kann es niemanden verwundern, dass bei Studiengängen mit „marktengen“ Jobperspektiven zunehmend das Berufsfeld Kommunikation ins Spiel gebracht wird. („Wenn alle Stricke reißen, kannst du ja immer noch in die Kommunikation gehen!“)

Jüngstes Fundstück: Die Arbeitgeberinformation Arbeitsmarkt Kompakt 2007 - Geisteswissenschaftler der Bundesagentur für Arbeit. Hier wird der Kommunikationsbranche empfohlen, bei der Besetzung von Stellen stärker auf Absolventen geisteswissenschaftlicher Studiengänge zu setzen. Warum? „Die Möglichkeiten, Geisteswissenschaftler einzusetzen, sind vielfältig – auch deshalb, weil sie während ihres Studiums Fähigkeiten erwerben, die überall in der Berufswelt nützlich sind: strukturiertes Denken, Argumentationsfähigkeit, sprachliches Ausdrucksvermögen, Kreativität, Selbstmotivation und ein großes Allgemeinwissen.“ So weit, so unstrittig und ohne Zweifel sind sprachliche und kulturelle Kompetenzen (und sei auch nur der gesittete Umgang mit Messer und Gabel) in jedem Job - also auch für unsere Branche - von Nutzen. Aber dann kommt’s:

„Wer einen Roman interpretieren kann, kann auch den Geschäftsbericht eines Unterneh­mens in eine verständliche Form bringen.“

Wow! Bei allem Verständnis für das Bemühen, im ausklingenden „Jahr der Geisteswissenschaften“ die Absolventen abseits der gängigen Stereotypen in ein gutes Licht zu rücken, möchte ich vor Bewerbern, die mit dieser Haltung ins Bewerbungsgespräch steuern, ausdrücklich warnen. Oder andersherum, liebe Geisteswissenschaftler: Bei allem Respekt vor Ihrem philologisch geschulten Geist: Bleiben Sie skeptisch gegenüber den Lobhudeleien Ihrer Arbeitsagentur! Im Ernst: Die redaktionelle Erarbeitung eines Geschäftsberichts oder sei es auch - nur- eines Umweltberichts erfordert weit mehr als den literarisch geschliffenen Umgang mit Textformaten. Wer sich hier ranwagt, muss über ein zutiefst gewachsenes inhaltliches Verständnis seines Gegenstands verfügen. Und vor allem in der Lage sein, diesen in der Dienst der Unternehmenskommunikation zu stellen. Weisheiten à la „Mit Goethe durchs Jahr“ düften hier nicht wirklich weiterhelfen. Klar, dem einen oder anderen Geschäftsbericht könnte eine Erweiterung des Horizontes gut tun. Gerne erinnern wir uns an die legendären Geschäftsberichte, die unter der Ägide von Manfred Piwinger in den 90er Jahren bei Vorwerk publiziert wurden. Und dennoch steht hier damals wie heute ein entwickeltes ökonomisches Verständnis im Vordergrund, unabhängig davon, auf welchem Wege dies erworben wurde. Man kann ja alles lernen. Hier allerdings liegen die Probleme bei vielen geisteswissenschaftlichen Bewerbern. Die meisten verfügen kaum über elementare betriebswirtschaftliche Kenntnisse, deren Praxis und Terminologie ihnen weitgehend fremd ist. Sie haben in ihrem Studium kaum Gelegenheit gehabt, Verständnis für Unternehmens-oder Managementprozesse zu erwerben. Wenn die erwähnte Broschüre zu der Aussage findet: „Berührungsängste von Geisteswissenschaftlerinnen und Geisteswissenschaftlern vor BWL-Themen nehmen ab.“, ist das für die Betroffenen erfreulich, für alle die mit solchen Kommunikationsleistungen Geld verdienen müssen aber unzureichend. Im Gegenteil: Unternehmen und Agenturen suchen in den letzten Jahren verstärkt Personal mit ökonomischem Verständnis gemäß dem Motto: Es ist nicht wichtig, was du studierst hast, wenn du über kommunikative Begabung und wirtschaftliches Know-how verfügst. Eine vielversprechende Perspektive eröffnet da die durch den Bologna-Prozess stimulierte Neuausrichtung der Kommunikatioinsstudiengänge. Während die neuen Bachelors mit den fachlichen Grundlagen ausgestattet vor allem für die Werkbank der Kommunikation gesucht werden, zeichnet sich ab, dass bei den Masters eine vielfältig spezialisierte neue Generation echter Kommunikationsprofis auf dem Weg ist. Ihnen allen ist gemeinsam, dass in ihrer akademischen Ausbildung betriebswirtschaftliches Wissen und Management-Know-how fundamental verankert ist. Davon sind die geisteswissenschaftlichen Studiengänge bis heute noch weit, weit entfernt.

1 Kommentar:

Saibot hat gesagt…

hmmm... das gibt mir schon ein bischen zu denknen. Da ich - als "Betroffener" - selbst erlebe wie schwer es für Sozialwissenschaftler ist sich zu etablieren. Personalverantwortliche haben oft keine Ahnung, was denn diese "Geiwis" so "können". Eines stimmt jedoch: BWL spielt meist keine Rolle in ihrer (Aus-)Bildung. Doch ist das wirklich immer in dem Maße nötig, in dem es gefordert wird? Ich denke nicht. Könnte denn nicht ein Sozialwissenschaftler in vielen Bereichen auch eine besondere Bereicherung darstellen? Beispielsweise im Personalbereich? Muss es da immer ein BWLer sein? Oder bei Projektarbeit? Teamleitung?
Ich denke oft sind diese Persönlichkeiten weit unterschätzt und die Möglichkeiten die ihre Verwendung betrifft ebenso.